Im Herzen der Erde zeigen die verborgenen Gesteine ihre Komplexität

Ein Team von EPFL-Forschenden hat Einblicke in die Mechanismen von geothermischen Reservoiren in der Tiefe, den sogenannten überkritischen Reservoiren, gewonnen. Mit einer Kombination aus Computersimulationen und Laborexperimenten haben sie gezeigt, dass Gesteine in fünf bis acht Kilometern Tiefe in der Erdkruste auch für Flüssigkeiten durchlässig sind.
Gabriel Meyer schliesst die TARGET-Presse, ein neues Messinstrument im Labor für experimentelle Felsmechanik (LEMR) der EPFL.© 2024 EPFL/Alain Herzog - CC-BY-SA 4.0

Die Geologie ist ein Gebiet mit vielen unbeantworteten Fragen. Und je tiefer man in der Erdkruste gräbt, desto weiter dringt man in unbekanntes Terrain vor, da das Gestein zunehmend verborgen und schwer zugänglich wird. Das tiefste Loch der Welt befindet sich auf der Kola-Halbinsel in Russland und erstreckt sich über 12 Kilometer – das sind jedoch weniger als 25 % der durchschnittlichen Tiefe der kontinentalen Kruste. Obwohl Geologen schon so weit gegraben haben, ist es fast unmöglich, in dieser Tiefe Messungen vorzunehmen. Aus diesem Grund arbeiten viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler daran, die Bedingungen in ihren Forschungslabors nachzubilden. Diese Methode hat Gabriel Meyer, Postdoc am Labor für Experimentelle Felsmechanik (LEMR) der EPFL, für seine Forschung gewählt. Er untersucht insbesondere die Veränderungen, die in Gesteinen unter überkritischen Bedingungen stattfinden: «Forschende haben einen Übergang im mechanischen Verhalten von Gesteinen in extremen Tiefen beobachtet», sagt er, «ich wollte verstehen, was da vor sich geht, da wir den Prozess nicht vor Ort beobachten können». Dank eines neuen, am LEMR entwickelten Instruments, das die Druck- und Temperaturbedingungen in solchen Tiefen nachbilden kann, ist seine Aufgabe nun einfacher geworden. Prof. Marie Violay, die Leiterin des LEMR, und ihre Forschungsgruppe haben fast sechs Jahre gebraucht, um dieses Gerät zu entwickeln. Die ersten Entdeckungen, die das Instrument ermöglicht, wurden soeben in Nature Communications veröffentlicht.

Wasser bei über 400°C

Geothermische Reservoirs mit überkritischem Wasser – d. h. Wasser mit einer Temperatur von über 400 °C – sind die nächste Stufe der geothermischen Energiegewinnung. Seit etwa 15 Jahren erforschen Ingenieurefachleute in verschiedenen Teilen der Welt das Potenzial dieser natürlichen Ressource. Diese könnte die Energieerzeugung im Vergleich zu herkömmlichen geothermischen Anlagen (welche die Wärme näher an der Oberfläche gewinnen) um das Zehnfache steigern. Überkritische Lagerstätten befinden sich in einer Tiefe von etwa 10 Kilometern, und die Kunst besteht darin, sie zu erreichen. Die ersten aussagekräftigen Tests der superkritischen geothermischen Technologie wurden ausschliesslich in Vulkanregionen durchgeführt, wo überkritische Temperaturen in 5 Kilometern Tiefe zu finden sind.

«Wenn man sich der 10-Kilometer-Marke nähert, bricht das Gestein nicht mehr, sondern verformt sich gleichmässig, wie weicher Karamell, und sein Verhalten wird komplex. Die Verformung erfolgt auf der Ebene der kristallinen Strukturen im Korn. Ich wollte herausfinden, ob Wasser in einem Gestein zirkulieren kann, das sich in diese ungewöhnlich duktile Form verwandelt hat.»      Gabriel Meyer, Postdoc am LEMR der EPFL

Überkritisches Wasser ist weder gasförmig noch flüssig, sondern befindet sich in einem Zustand, der es ermöglicht, grosse Mengen an Energie zu gewinnen. Auch die mechanischen Eigenschaften des Gesteins ändern sich unter solchen Bedingungen. Während das Gestein in Oberflächennähe spröde sein kann und viele Mikrobrüche aufweist, wird es in grosser Tiefe duktil: «Wenn man sich der 10-Kilometer-Marke nähert, bricht das Gestein nicht mehr, sondern verformt sich gleichmässig, wie weicher Karamell, und sein Verhalten wird komplex», sagt Meyer: «Die Verformung erfolgt auf der Ebene der kristallinen Strukturen im Korn. Ich wollte herausfinden, ob Wasser in einem Gestein zirkulieren kann, das sich in diese ungewöhnliche duktile Form verwandelt hat.»

3D-Darstellung

Um die Durchlässigkeit des Gesteins zu messen, haben Meyer und seine Kollegen Granitproben von spröde in dehnbar umgewandelt, indem sie sie den gleichen Temperatur- und Druckbedingungen aussetzten, wie sie tief im Inneren der Erdkruste herrschen. Das LEMR-Gerät arbeitet, indem es Druck auf eine Gesteinsprobe ausübt und sie mit einem Kolben verformt. Sowohl die Temperatur als auch der Druck steigen allmählich an und simulieren so die Bedingungen zwischen einigen hundert Metern und mehreren Kilometern unter der Erde. Anschliessend erstellte das Forscherteam mit Hilfe eines Synchrotrons 3D-Scans der verformten Proben und konnte so die Durchlässigkeit feststellen.

«Geologen dachten lange Zeit, dass der Übergang von sprödem zu duktilem Gestein die untere Grenze für die Wasserzirkulation in der Erdkruste darstellt. Wir haben aber gezeigt, dass Wasser auch in duktilem Gestein zirkulieren kann. Das ist eine vielversprechende Entdeckung, die weitere Forschungsmöglichkeiten auf unserem Gebiet eröffnet» sagt Meyer.