Verkehrsüberlastung ohne zusätzliche Kosten verringern

Ingenieurfachleutge der EPFL und der ETH Zürich haben einen neuen Ansatz entwickelt, um Verkehrsstaus in Grossstädten während der Rushhour zu reduzieren. Ihr System soll sowohl fair als auch effektiv sein.
Stau im Berufsverkehr.©Istock/Ollo

Staus im Berufsverkehr bereiten den Pendlern grosse Kopfschmerzen und sind ein echtes Problem für die Stadtplaner. Weltweit wird sehr viel Zeit im Stau verschwendet. Eine Studie ergab, dass Pendlerinnen und Pendler in den USA durchschnittlich 99 Stunden pro Jahr durch Staus verlieren, in Grossbritannien sind es sogar 115 Stunden (INRIX 2019 Global Traffic Scorecard). Im Laufe der Jahre haben Stadtplanerinnen immer ausgefeiltere Berechnungsmodelle entwickelt, um die Verkehrsnachfrage zu prognostizieren und zu steuern. Kenan Zhang, Tenure-Track-Assistenzprofessor an der EPFL und Leiter des Lab for Human-Oriented Mobility Eco-System (HOMES) an der Fakultät für Architektur, Bauingenieurwesen, Umweltwissenschaften und -technik (ENAC) der EPFL, hat sich zusammen mit Kolleginnen und Kollegen der ETH Zürich an das Problem der Verkehrsüberlastung gemacht. Das Forschungsteam hat ein neues System entwickelt, das nicht nur effizient, sondern auch fair ist, weil es den Pendlern keine Kosten aufbürdet. Ihre Ergebnisse wurden soeben in Transportation Science veröffentlicht.

«Bei herkömmlichen Modellen für den Berufsverkehr wird davon ausgegangen, dass es jeder zur gleichen Zeit eilig hat, ins Büro zu kommen. Wir lockern diese Annahme jedoch und berücksichtigen, dass Pendlerinnen und Pendler an manchen Tagen weniger und an anderen mehr in Eile sein können. Dies spiegelt die Realität besser wider und stellt sicher, dass unser System auch langfristig funktionieren würde.»      Kenan Zhang, Leiter von HOMES

Das CARMA genannte Verkehrsmanagementsystem wurde speziell für die Staus entwickelt, die von Pendlern verursacht werden, die während der morgendlichen Rushhour von den Vororten ins Stadtzentrum fahren. In dem Verkehrsmodell hätten die Pendlerinnen zwei Möglichkeiten: Sie könnten entweder eine langsame Spur mit hohem Verkehrsaufkommen nehmen oder mit Hilfe von Guthaben (genannt «Karma») eine schnelle Spur mit weniger Autos ersteigern. Die Idee ist, dass die Pendler ihre Karmagutschriften verwenden, wenn sie es besonders eilig haben. Am Ende eines jeden Tages werden die von den Pendlerinnen auf der Überholspur gesammelten Karmaguthaben an alle Teilnehmenden des CARMA-Systems verteilt: «Bei herkömmlichen Modellen für den Berufsverkehr geht man davon aus, dass es alle zur gleichen Zeit eilig haben, ins Büro zu kommen», sagt Zhang, «aber wir lockern diese Annahme und berücksichtigen, dass die Pendlerinnen und Pendler an manchen Tagen weniger eilig haben können und an anderen mehr. Das spiegelt die Realität besser wider und stellt sicher, dass unser System langfristig funktioniert.» Pendler können sich zum Beispiel entscheiden, ihr Guthaben für Tage zu behalten, an denen sie sich verspäten.

Gewährleistung von Fairness und Schutz personenbezogener Daten

Ein weiteres wichtiges Merkmal des CARMA-Systems ist, dass die Karma-Gutschriften keinen kommerziellen Wert haben, was bedeutet, dass das System Menschen mit geringerem Einkommen nicht diskriminiert. Viele der heute in Städten eingesetzten Systeme zur Steuerung der Verkehrsnachfrage basieren auf Mautgebühren, deren Höhe während der Hauptverkehrszeit höher und zu anderen Tageszeiten niedriger ist: «Wohlhabende Menschen können es sich leisten, hohe Mautgebühren zu zahlen, um nicht im Stau zu stehen, während Pendler mit geringerem Einkommen früher oder später losfahren müssen, um dem Verkehr zu entgehen», sagt Zhang, «diese Art von Systemen ist nicht fair.» Ausserdem werden im CARMA-System keine persönlichen Daten erhoben. Derzeitige Systeme zur Steuerung der Verkehrsnachfrage stützen sich auf Daten, die von den Anwohnenderinnen über ihre Pendlergewohnheiten erhoben werden, um einen Mautplan zu erstellen, der die Staus in der Hauptverkehrszeit verringert. So werden die Anwohner beispielsweise befragt, wie lange sie bereit sind, im Stau zu warten, oder zu welcher Zeit sie normalerweise zur Arbeit fahren. Im Gegensatz dazu werden für das CARMA-System keine derartigen Daten benötigt, um zu funktionieren.

«Unsere Ergebnisse sind mathematisch bewiesen und zeigen, dass CARMA den Verkehrsfluss genauso gut verbessern kann wie kostenpflichtige Systeme», sagt Zhang, «und unser Ansatz ist fair und beruht nicht auf persönlichen Daten.Der nächste Schritt wird darin bestehen, das System unter realen Bedingungen zu testen, und wir werden auch daran arbeiten, den Prozess der Umverteilung von Gutschriften zu verbessern. In der Zwischenzeit können sich Stadtplaner von CARMA inspirieren lassen, wenn sie über das leidige Problem der Verkehrsüberlastung nachdenken.»