Abwassermonitoring stösst auf grosses Interesse
Daten und Methoden sind öffentlich
Seit Juli 2023 werden in 14 Abwasserreinigungsanlagen (ARA) in der Schweiz Abwasserproben entnommen, aktuell fünf Proben pro Woche, und zentral durch die Eawag auf verschiedene Erreger (SARS-CoV-2, Influenza A und B Viren, RSV) analysiert. Während der Covid-Pandemie bis Ende 2022 umfasste das nationale Monitoring zeitweise über 100 ARA. Die Daten und Trends sowie exakte Beschriebe der Methoden können hier abgefragt werden: https://wise.ethz.ch/ und https://www.idd.bag.admin.ch/ Auf der Plattform WISE (für «Wastewater-based Infectious disease Surveillance and Epidemiology», also «Überwachung und Epidemiologie von Infektionskrankheiten über das Abwasser») sind auch die Daten der einzelnen ARA Standorte ersichtlich > Klick in der Hauptnavigation auf «Viren» und «Standorte». Parallel dazu wurde mit dem Bundesamt für Gesundheit das Pilotprojekt DroMedArio aufgebaut, wo das Abwasser auf Rückstände von Drogen, Medikamenten, Alkohol und Tabak untersucht wird. Die Daten werden quartalsweise publiziert, zugänglich auf DroMedArio > Dashboard.
Sie haben, zusammen mit Kolleginnen und Kollegen, zu einem Symposium zur Zukunft des Abwassermonitorings eingeladen. Sind Sie überrascht über das Interesse?
Christoph Ort: Nein, ich bin hocherfreut und mein Eindruck bestätigt sich, dass viele Leute an der Information, die im Abwasser steckt, interessiert sind. Seit Anfang der Pandemie erhalten wir regelmässig Anfragen zu unseren Messungen.
Wo ist das Interesse am grössten?
Das kann ich schwer sagen, aber jedenfalls ist das Feld sehr breit: Wenn Zahlen in einzelnen Städten steigen, melden sich sofort Journalisten. Sie wollen wissen, was das bedeutet, wie wir die Lage einschätzen. Auch Expertinnen und Experten aus dem Gesundheitsbereich konsultieren unsere Daten regelmässig. Spitalärztinnen haben uns gesagt, sie würden im Abwasser sehen, was sie in einer Woche im Spital erwartet. Aber auch Privatpersonen, insbesondere Risikopatienten, schreiben uns. Zum Beispiel, wenn die Messwerte mit etwas Verspätung publiziert werden. Aber das kommt bei den hohen Anforderungen an die Datenqualität halt vor.
Tatsächlich liegen zeitweise zwischen der Probenahme und dem Aufschalten der Resultate bis zu 10 Tage. Ist das – vor allem bei Corona - zum Erkennen einer neuen Welle nicht zu lange?
Das müssen die Stellen beurteilen, welche für Massnahmen zuständig sind, oder das im Gesundheitsbereich planende Personal. Gegenüber den Zahlen aus den Spitälern und den rapportierten schweren Fällen, zeichnet das Abwasser die Trends immer noch früher ab. Vieles ist auch eine Frage der Ressourcen: Wenn mehr Mittel für die Logistik und die zeitnahe Messung investiert würden, wäre theoretisch eine «Lieferfrist» von zwei bis vier Tagen seit der WC-Spülung in einem Haushalt möglich. Es gibt mittlerweile auch Messsysteme die Proben automatisch aufbereiten und sehr zeitnah messen. Ihre Sensitivität ist aber gemäss unserem Wissensstand noch nicht ausreichend, um an die hohe Datenqualität unserer Messungen heranzukommen.
Dann denken Sie also nach wie vor, dass der Aufwand sich lohnt?
Auf jeden Fall. Denn weil sich kaum mehr jemand testen lässt, gibt es keine zuverlässigen Fallzahlen mehr und so orientieren sich viele an den Abwasserzahlen für ihre persönliche Risikoabwägung: Homeoffice oder doch ins Büro? Auswärts essen? Maske, ja oder nein?
Ist das Interesse an den Drogen-Werten ebenso hoch wie an den Corona-Daten?
Beim Substanzmonitoring, also den Zahlen für Drogen und Medikamente, stieg das Interesse, seit es für zehn Schweizer Städte längere, systematisch erhobene Zeitreihen gibt. Das Substanzspektrum ist breit und weil es keine oder jedenfalls keine öffentlich verfügbaren Verbrauchszahlen gibt, interessieren sich Suchtexperten und Wissenschaftsjournalistinnen sehr für die Abwasserzahlen: Ketamin, Ritalin, Kokain, Ecstasy, Fentanyl, Crack … es geht um Fragen zum Partykonsum, Missbrauch, Anstieg und Trends. Sehen wir Phänomene, die man aus anderen Ländern kennt, bei uns auch? Sind neue Drogen bei uns auch angekommen?
Gemäss der Ausschreibung zum Symposium geht es auch um die Finanzierung der Projekte. Ist diese denn in Frage gestellt?
Überall wird gespart. Wir sind erleichtert, dass die Finanzierung des Monitorings für Krankheitserreger sicher bis Ende 2025 gewährleistet ist. Es ist verständlich, dass ausserhalb von Krisenzeiten, im neuen Normal, weniger Bedarf besteht. Aber nach der Pandemie ist vor der Pandemie. Als im Ausland von Mpox-Fällen (Affenpocken) berichtet wurde, wollte hiesige Behörden sofort wissen, ob man das auch im Abwasser nachweisen kann. Wir konnten 2022 zeitnah zeigen, wie Mpox auch in der Schweiz anstieg aber dann auch rasch wieder verschwand. Das ist nur möglich, wenn mindestens eine minimale Logistik vorhanden ist, Routinemessungen gemacht werden und die Kapazität für Anpassungen der Methoden für neue Erreger jederzeit gewährleistet ist. Mit einem Postulat (22.4271) hat das Parlament schon im Mai 2023 den Bundesrat beauftragt, die Institutionalisierung des Abwassermonitorings voranzutreiben.
Aktuell steigen national die Zahlen bei den Influenza-Viren und bei RSV – vermutlich saisonbedingt? Worauf führen Sie die stagnierende oder sogar rückläufige Häufigkeit von SARS-CoV-2-Viren zurück?
Anders als bei Influenza und RSV zirkuliert SARS-CoV-2 gelegentlich auch im Sommer, so 2022 und 2024. Dann beobachten wir eine tiefere Winterzirkulation als 2021 und 2023, wo es kaum Sommerzirkulation gab. Was genau hinter diesem Muster steckt, können wir noch nicht sagen. Aber wir haben auch beobachtet, dass SARS-CoV-2-Wellen eher an das Aufkommen von neuen Varianten gekoppelt sind.
Die Daten zu Medikamenten und Drogen zeigen teilweise interessante Trends. Zum Beispiel zum steigenden Kokainkonsum oder zum regional offensichtlich sehr unterschiedlichen Einsatz von Ritalin. Haben Sie Erklärungen dafür?
Mit Abwassermessungen stellen wir eine unabhängige Datenquelle zur Verfügung, welche objektive Aussagen zum Konsumverhalten oder zur Exposition der Bevölkerung ermöglicht. Die Interpretation müssen wir Expertinnen und Experten der verschiedenen Fachgebiete überlassen. Sie haben die notwendigen Kenntnisse zu individuellen Patientinnen- oder Konsumentengruppen. Diese Experten nutzen die Daten aus dem Abwassermonitoring, um früh zu sehen, ob es sich um Einzelfälle oder einen neuen Trend handelt.
Aus Deutschland und anderen Ländern wurde bekannt, dass im Abwasser auch Polioviren gefunden wurden, obwohl die Krankheit hier als «ausgerottet» gilt. Messen Sie das auch?
Nein, aktuell suchen wir nicht nach Polioviren im Schweizer Abwasser, beziehungsweise noch nicht. Denn die Referenzmethoden der WHO erfordern ein Labor, wo Polioviren kultiviert werden können. Unser Labor ist darauf ausgerichtet, die Viren mit molekularen Ansätzen aufzuspüren, also indem wir DNA und RNA der Viren erkennen. Auf Anfrage des BAG arbeiten wir aktuell zusammen mit dem nationalen Referenzlabor daran, eine solche Methode auch für Polio zu entwickeln.
Seit der ersten Corona-Welle anfangs 2020 sind Sie und zahlreiche weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Eawag bald fünf Jahre fast permanent daran, im Abwasser nach Viren zu suchen. Haben Sie noch Energie, weiterzumachen?
Die Kombination aus Forschung und Monitoring, aber auch aus Netzwerk- und Medienarbeit ist zeitweise schon sehr streng. Aber es ist auch spannend. Das Fachgebiet ist sehr interdisziplinär und immer, wenn wir meinen, es gehe jetzt zur Routine über, kommt etwas Neues. Entweder haben wir im Team neue Ideen oder es wird eine Anfrage an uns herangetragen, der wir nachgehen. Wir schätzen uns glücklich, einen Beitrag zur objektiven Einschätzung der Gesundheitslage in der Schweiz leisten zu können.