Soziale Medien und KI messen ästhetische Qualität von Landschaften
Wie sehr wir eine Aktivität in der freien Natur geniessen – z. B. Wandern in den Bergen, Joggen oder Paddeln – hängt weitgehend von der Schönheit des Ökosystems rundherum ab. Landschaften mit kristallblauem Meer, gelben und lavendelfarbenen Hügeln oder einem Bach, der durch ein Felsbett plätschert, können eine Wohltat für unsere körperliche und geistige Gesundheit sein. Dieses Wohlbefinden ist einer der Faktoren, die bei der Bewertung von Ökosystemdienstleistungen (ES) untersucht werden, bei der der Beitrag von Landschaften zum Wohlbefinden der Menschen quantifiziert wird, um die Umweltpolitik zu optimieren. Um diese Bewertungen zu unterstützen, hat ein Forschungsteam der EPFL und der Universität Wageningen ein neuartiges Modell entwickelt, das mit Hilfe von künstlicher Intelligenz das ästhetische Empfinden der Menschen in einer Landschaft einbezieht. Das Modell basiert auf rund neun Millionen Bildern britischer Landschaften, die auf Flickr gepostet wurden, und lässt sich leicht in grossem Umfang reproduzieren, da es auf Daten aus sozialen Medien zurückgreift. Das Modell ist das erste, das Einblicke in die Wertschätzung von Landschaften durch Einzelpersonen in einem so grossen Massstab bietet und gleichzeitig so genau ist wie die derzeitigen Methoden. Die Forschungsergebnisse erscheinen in Scientific Reports, einer Publikation von Nature.
Um ihr Modell zu entwickeln, trainierten die Forschenden einen Deep-Learning-Algorithmus mit über 200 000 Fotos von Landschaften in Grossbritannien aus der Scenic-Or-Not-Datenbank. Diese Fotos, die einen geografisch repräsentativen Datensatz Grossbritanniens darstellen, wurden im Rahmen einer Crowdsourcing-Umfrage nach ihrer ästhetischen Qualität, der «scenicness», bewertet. Dieser Ansatz ermöglichte es den Forschenden, Faktoren einzubeziehen, die sich darauf beziehen, wie der Einzelne Landschaften persönlich geniesst – Faktoren, die bei herkömmlichen gross angelegten ES-Bewertungen fehlen. Das Forschungsteam liess dann sein Deep-Learning-Modell, das auf neuronalen Netzen basiert, auf über neun Millionen Flickr-Bildern laufen und bezog auch andere KI-basierte Modelle in seine Vorhersagen zur landschaftlichen Schönheit ein. Schliesslich verglichen sie die Ergebnisse ihres Modells mit den Ergebnissen eines konventionellen, auf Umweltindikatoren basierenden Modells.
Ein genaueres Modell
Flickr-Bilder und künstliche Intelligenz wurden verwendet, um eine Gesamtbewertung der ästhetischen Qualität der Landschaft nach Fläche zu erstellen. Ilan Havinga © Ilan Havinga (Fotos Sergio und Graeme Churchard (cc-by/2.0)
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellten ihre Ergebnisse auf Karten von Grossbritannien zusammen, auf denen Farbcodes den Grad der landschaftlichen Schönheit angeben. Beide Modelle ergaben, dass der Snowdonia National Park in Wales, der Lake District in England und die schottischen Highlands Gebiete mit besonders hohem ästhetischem Wert und Wohlbefinden sind. «Die Ergebnisse der beiden Modelle sind bei einer Auflösung von 5 km² ungefähr gleich», sagt Devis Tuia, ausserordentlicher Professor am Environmental Computational Science and Earth Observation Laboratory der EPFL. «Bei einer Auflösung von 500 m² zeigen sich jedoch Unterschiede, und das Flickr-Modell erweist sich als präziser. So werden beispielsweise der Grossraum London, der Richmond Park und der Flughafen Heathrow von dem herkömmlichen Modell als landschaftlich sehr reizvolle Gebiete vorhergesagt, während das Flickr-Modell sie genauer als ausgesprochen unschön einstuft.»
Eine völlig neue Art, die Umwelt und die Interaktion der Menschen mit ihr zu bewerten
Dank der Kombination aus sozialen Medien und Deep Learning kann das Modell der Forschenden auch bewerten, wie sich die Wertschätzung der ästhetischen Qualität einer Landschaft durch die Menschen im Laufe der Zeit verändert. In einem weiteren Experiment untersuchte das Forschungsteam Naturparkgebiete in Grossbritannien, die für ihre aussergewöhnliche Schönheit bekannt sind, wie den Lake District, die Küste von Pembrokeshire in Wales und die Cairngorms in Schottland. Dieses Experiment ermöglichte es ihnen zu untersuchen, wie ästhetische Faktoren mit den Jahreszeiten zusammenhängen. Das Attribut «Schnee» zum Beispiel stimmt mit den Wetterberichten über dieselben Zeiträume überein – das neue Modell zeigte den Winter 2009/10 als besonders schneereich an. Die Forschenden stellten sogar fest, dass die Prävalenz von «Schnee» um das Wochenende herum zunahm, wenn die Menschen mit grösserer Wahrscheinlichkeit verschneite Landschaften besuchten, während die Prävalenz von «Asphalt» während der Woche relativ konstant blieb. «Dies zeigt, dass die Verwendung von auf sozialen Medien basierenden Daten eine Kombination von Informationen über den Zustand der Umwelt und die Art und Weise, wie die Menschen mit ihr interagieren, bietet», sagt Tuia. «Solche Informationen wurden noch nie zuvor mit einem so hohen Grad an Genauigkeit gewonnen.»
Ilan Havinga, Doktorand an der Universität Wageningen, fügt hinzu: «Es ist nicht einfach, in grossem Massstab zu messen, wie die ästhetische Qualität einer Landschaft zum Wohlbefinden der Menschen beiträgt. Unsere Forschung bietet eine technologiegestützte Methode zur Modellierung des ästhetischen Empfindens der Menschen und bezieht dabei den wichtigsten Faktor mit ein – den Menschen selbst». Der nächste Schritt wird sein, zu prüfen, ob das Modell auf andere Länder angewendet werden kann, da deren Landschaften und Kulturen sehr unterschiedlich sein können. Die Forschenden müssen einen Weg finden, um KI-Algorithmen anhand lokal relevanter Kriterien zu trainieren. Entsprechende Projekte werden bereits in den Niederlanden, Spanien und anderen europäischen Ländern durchgeführt, um die Umweltschutzpolitik in ganz Europa zu unterstützen.