Durchdrehen für die Wissenschaft

Sieben Jahre dauerte die Planung und der Bau der leistungsstärksten Zentrifuge von Europa. Nach eineinhalb Jahren Forschungsbetrieb kann nun die offizielle Einweihung am Campus Hönggerberg gefeiert werden. Dass die Einweihung mitte Januar stattfindet, ist dabei kein Zufall.
Mit einer Grösse von neun Metern und einer Leistung bis zu 500 gTonnen ist die geotechnische Zentrifuge der ETH Zürich die leistungsstärkste in ganz Europa. (Bild: Ioannis Anastasopoulos / ETH Zürich)

In Kürze

  • Am Campus Hönggerberg wird die leistungsstärkste Forschungszentrifuge Europas eingeweiht.
  • Die Zentrifuge ist imstande, Modelle so schnell zu beschleunigen, dass die Erdanziehung bis auf das 250-Fache auf sie wirkt.
  • Sie leistet einen wichtigen Beitrag zur Forschung von Bauwerken, die Naturgewalten ausgesetzt sind.

Eine riesige Metalltür führt in einen hellen, runden unterirdischen Raum. Hier befindet sich der krönende Abschluss des Geotechnischen Zentrifugen-Zentrums (GCC): die insgesamt etwa neun Meter lange Blaubalkenzentrifuge. Der Bau dieser Forschungseinrichtung war keine leichte Aufgabe – aber die Bauherren haben sich der Herausforderung gestellt. Um Störungen bei den hochsensiblen Messungen in den umliegenden Labors des GCC zu vermeiden, ist die Zentrifugenkammer schwingungsisoliert und ruht auf vier Stahlfedereinheiten. Die größte Zentrifuge Europas ist seit Juni 2023 in Betrieb und liefert Forschungsdaten. Nun feiert die ETH Zürich diese außergewöhnliche Infrastruktur an einem ganz besonderen Datum.

Dies ist ein Tag, auf den Ioannis Anastasopoulos, Professor für Geotechnik und Leiter des Departements Bau, Umwelt und Geomatik an der ETH Zürich, schon lange gewartet hat. Es ist kein Zufall, dass die Einweihung der Zentrifuge genau auf den 17. Januar 2025 fällt. Anastasopoulos wollte zwar nicht mit leeren Händen zu dieser Zeremonie erscheinen, sondern lieber erste Forschungsergebnisse präsentieren, aber dieses Datum hat für ihn eine große persönliche Bedeutung. Es ist der 30. Jahrestag des großen Hanshin-Erdbebens von 1995, das die Stadt Kobe in Japan verwüstete. Anastasopoulos war zum Zeitpunkt der Katastrophe Student des Bauingenieurwesens. Das Ereignis war für seine zukünftige Karriere von entscheidender Bedeutung, da es zu der Entscheidung führte, sich dem geotechnischen Erdbebeningenieurwesen zu widmen.

Er und sein Team nutzen die Zentrifuge, um zu erforschen, wie sich Gebäude und Bauwerke, einschließlich ihrer Fundamente und des darunter liegenden Bodens, verhalten, wenn sie den verschiedenen Naturgewalten ausgesetzt sind. Dazu bauen sie Modelle im verkleinerten Maßstab und platzieren sie an einem Ende der Schleuder. Die Modelle werden dann so stark beschleunigt, dass sich die auf sie wirkenden g-Kräfte vervielfachen. Dabei wirken Kräfte von bis zu 100 g auf die Modelle – also das Hundertfache der Erdanziehungskraft. Verkleinerte Modelle des Bodens können die Realität nicht genau wiedergeben, da die Spannungen im Boden viel geringer sind als im wirklichen Leben, was sich auf die Eigenschaften des getesteten Bodenmaterials auswirkt. Das erhöhte Gravitationsfeld der Zentrifuge vervielfacht die im Modell entstehenden Spannungen und spiegelt die realen Bedingungen wider, sodass nur so realistische Ergebnisse erzielt werden können.

Einer alten Zentrifuge neues Leben einhauchen

Was nach hochmoderner Forschungsinfrastruktur aussieht, hat in Wirklichkeit schon einige Geschichten aus seinem früheren Leben zu erzählen. Die ETH entschied sich bewusst nicht für eine neue Zentrifuge, sondern für eine ausgemusterte Zentrifuge der Ruhr-Universität Bochum. Obwohl eine komplette Überholung nötig war und neue Teile eingebaut werden mussten, kostete dieses Vorgehen nur rund ein Viertel so viel wie der Kauf einer neuen Zentrifuge mit gleicher Leistung.


Eine Zentrifuge dieser Grösse zu sanieren und zu modernisieren ist eine gewaltige Aufgabe. Die Sanierung wurde parallel zum Bau der Anlage auf dem Hönggerberg durchgeführt. Beides wurde durch die Covid-Pandemie und die daraus resultierenden Störungen in der Lieferkette verzögert. Doch trotz all dieser Herausforderungen konnte die Zentrifuge nur ein Jahr später als ursprünglich geplant in Betrieb genommen werden. Für Anastasopoulos war dies ein durchschlagender Erfolg: «Wir wussten zeitweise nicht, wann die Zentrifuge tatsächlich in Betrieb genommen werden würde, und von ihr hängen viele Projekte ab. Deshalb sind wir froh, dass wir nun erste experimentelle Ergebnisse vorweisen können.»

Die Zentrifuge dreht – auch an der Zeit

Heute ist die neue «alte» Zentrifuge seit rund eineinhalb Jahren im Betrieb und sie läuft auf Hochtouren. In der Regel werden ein bis drei Tests pro Woche durchgeführt. Dass die Experimente durchgeführt werden können und die Zentrifuge einwandfrei läuft, dafür sorgen zehn bis fünfzehn Forschende und Techniker rund um Anastasopoulos.

Wie oft die Zentrifuge ihre Runden dreht, ist immer von der Komplexität des getesteten Modells abhängig. Das Modell vorzubereiten, beansprucht am meisten Zeit, weil die Gegebenheiten des Bodens und der Bauwerke möglichst realitätsnah nachempfunden werden müssen. Faszinierend an der Zentrifuge: Durch die zusätzlichen G-Kräfte können Auswirkungen über Jahre hinweg innerhalb einer sehr kurzen Zeit nachempfunden werden.

Windparks, Brücken, Brienz und Leimbach

Beispiele für konkrete Projekte gibt es viele. Bei einem, das gerade im GCC durchgeführt wird, geht es um die Bodenverankerung von Offshore-Windparks. Weit draussen im Meer sind die Windräder diversen Naturgewalten ausgesetzt. Den Stürmen und Erdbeben ausgesetzt, kann es vorkommen, dass sich die Konstruktion neigt. Selbst Neigungen von 0,5 Grad können die mechanischen Systeme beschädigen und somit auch die Lebensdauer der Anlage einschneidend verkürzen.

Offshore-Windparks sind in der Schweiz eher selten anzutreffen. Ganz im Gegenteil zu Brücken. Von denen gibt es in der Schweiz einige und viele davon haben bereits eine beachtliche Anzahl an Jahren auf dem Buckel. Die überwiegende Mehrheit (über 90%) wurde vor den 90er-Jahren gebaut, und zwar ohne jegliche oder nur mit einer einfachen erdbebensicheren Auslegung, die eine Nachrüstung erfordert. Während die Nachrüstung von Brückenpfeilern relativ einfach ist, kann die Verstärkung von Fundamenten schwierig, kostspielig und zeitaufwändig sein. Dies gilt insbesondere für Pfahlgruppen, die für Brücken verwendet werden. Hier kommt die Forschungsarbeit von Anastasopoulos und seinem Team ins Spiel: «Unsere Zentrifugentests sind für die Sicherheit unserer Verkehrsinfrastruktur von entscheidender Bedeutung. Die Zentrifugenexperimente können uns zu innovativen Lösungen führen, die den CO2-Fussabdruck und die Kosten für die Nachrüstung von Fundamenten minimieren und gleichzeitig die Erdbebensicherheit verbessern.»

Die Bodenbewegungen in Brienz, Graubünden, die ein ganzes Dorf bedrohen, sowie Leimbach in Zürich beschäftigen viele Forschende. Hier könnte die Zentrifuge helfen, die Ursachen und Prozesse nachzuvollziehen, die zu solch massiven Bewegungen führen.

Die vielseitigen Forschungsthemen und Einsatzmöglichkeiten zeigen, dass die Zentrifuge zukünftig rege genutzt werden wird.