Flüsse und Bäche stossen nachts viel mehr CO2 aus als tagsüber
Welche Rolle Fliessgewässer im globalen Kohlenstoffkreislauf spielen, wird langsam klarer. Ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Stream Biofilm and Ecosystem Research Laboratory (SBER) der EPFL – das bereits gezeigt hatte, dass Gebirgsbäche und Flüsse mehr CO2 (das wichtigste Treibhausgas) emittieren als bisher angenommen – hat nun zusammen mit internationalen Kolleginnen eine wichtige neue Entdeckung gemacht. In einem Artikel, der heute in Nature Geoscience erscheint, zeigen sie, dass der CO2-Ausstoss von Fliessgewässern in der Nacht wesentlich höher ist als am Tag. Dies deutet darauf hin, dass Berechnungen, wieviel CO2 von diesen Gewässern an die Atmosphäre abgegeben wird, zu niedrig angesetzt waren, was zu falschen Schätzungen ihres Beitrags zum globalen Kohlenstoffkreislauf führte.
Forschende hatten lange Zeit gedacht, dass Fliessgewässer für die globalen CO2-Flüsse weniger wichtig seien als beispielsweise die Ozeane. Dabei führen Bäche und Flüsse enorme Mengen an organischem Material mit sich, das sich zersetzt und erhebliche Mengen an CO2 freisetzt. Die Berechnung, wie viel von diesem CO2 an die Atmosphäre abgegeben wird, ist aufgrund der Komplexität der Netzwerke, die die Kontinente entwässern, sehr schwierig. Bislang stützen sich die Forschenden bei ihren Schätzungen vor allem auf manuelle Messungen während des Tages.
Und genau hier entdeckten die SBER-Wissenschaftlerinnen den Berechnungsfehler. Sie fanden heraus, dass 90 % der existierenden Messungen zwischen 8 und 16 Uhr stattfanden. Ein Vergleich dieser Messungen mit Daten, die kontinuierlich von automatisierten Sensoren erfasst wurden, ergab, dass die CO2-Emissionen nur in 10 % der Fälle ihren Höhepunkt in diesem Zeitfenster erreichten.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nutzten automatisierte Sensoren von 66 Flüssen auf der ganzen Welt – darunter auch in bisher unterrepräsentierten Gebieten wie dem Kongo, dem Amazonas, der Arktis und den globalen Gebirgen – um die tageszeitlichen Messungen durch Messungen in der Nacht zu ergänzen. Dank ihres akribischen Ansatzes fanden sie heraus, dass die CO2-Emissionen in den Nachtstunden im Durchschnitt um 27 % – oder etwa viermal – höher waren. Diese Ergebnisse zeigen, wie die Verwendung von automatisierten Sensornetzwerken und grossen Umweltdaten bisher ungesehene Dynamiken von Fliessgewässer-Ökosystemen enträtseln kann, so SBER-Direktor Tom Battin.
«Dieser Unterschied ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen», sagt Lluís Gómez-Gener, ein SBER-Wissenschaftler und einer der Hauptautoren der Studie: «Der wichtigste bezieht sich auf die Photosynthese – ein Grossteil des in Flüssen und Bächen produzierten CO2 wird tagsüber durch Photosynthese absorbiert, wodurch die Menge, die in die Atmosphäre gelangt, reduziert wird.»
Andere Faktoren, die die Schwankungen der CO2-Emissionen im Laufe von 24 Stunden erklären, sind die Vegetation, die Beschattung durch Baumkronen, die Höhe, die Temperaturen, das Gefälle und die Turbulenz des Wassers. Die grössten Schwankungen der Tag-/Nacht-Emissionen wurden in Wäldern der gemässigten Zonen und in Gebirgsprärien festgestellt. Grosse Schwankungen wurden auch durchgängig während des Sommers und in Abschnitten mit offenem Kronendach beobachtet, während in Bächen mit geschlossenem Kronendach geringere Amplituden zu beobachten waren. Das liegt daran, dass Wärme und Sonnenlicht wichtige Faktoren für die Photosynthese und damit für die CO2-Fixierung sind.
Die Ergebnisse der Forschenden unterstreichen einmal mehr die hochkomplexe, vernetzte Natur von Bächen und Flüssen mit Kohlenstoffflüssen und die Notwendigkeit, ein umfassenderes Verständnis für die beteiligten Mechanismen zu entwickeln. Gerade in diesem Fall zeigt ihre Arbeit, dass die Rolle der Fliessgewässer im globalen Kohlenstoffkreislauf durch genaue Messungen mit neuartigen Technologien und Ansätzen besser analysiert und quantifiziert werden muss.