«Big Tech ist nicht das Problem»

Ciira wa Maina ist Vorsitzender von Data Science Africa, einem Gründungsmitglied der ICAIN-Initiative zur Demokratisierung von künstlicher Intelligenz. Im Gespräch mit ETH-News erläutert er, wie KI afrikanischen Bauern helfen kann und warum Europa von einer Zusammenarbeit profitiert.
Ciira wa Maina auf der Terrasse der Villa Hatt in Zürich. Nachhaltige KI brauche ein gesundes Ökosystem, nicht einen einzelnen riesiegen Organismus. (Bild: Oliver Bartenschlager / ETH Zürich)

Ciira wa Maina, Professor für Elektrotechnik und Elektronik an der Dedan Kimathi University of Technology in Kenia, ist Vorsitzender von Data Science Africa (DSA). DSA ist Gründungsmitglied des International Computation and AI Network (ICAIN), das im Januar 2024 am WEF in Davos lanciert wurde. ICAIN will KI-Technologien entwickeln, die einen gesamtgesellschaftlichen Nutzen haben, nachhaltig und für alle zugänglich sind – und so globale Ungleichheit reduzieren.

Ciira wa Maina, was hat Ihre Organisation dazu bewogen, bei ICAIN mitzumachen?

Der Zugang zu Supercomputern ist ein Problem, mit dem KI-Forschende weltweit kämpfen. ICAIN gibt seinen Mitgliedern Zugang zur Expertise und Rechenleistung von Organisationen wie dem CSCS in Lugano und erlaubt es uns damit, unsere Forschungstätigkeit auf einen neuen Level zu heben. Auf persönlicher Ebene bestanden aber auch schon vor ICAIN Beziehungen zwischen DSA-Mitgliedern und europäischen Wissenschaftlern, beispielsweise vom European Laboratory for Learning and Intelligent Systems (ELLIS), das auch Gründungsmitglied ist. Mit ICAIN können wir diese Beziehungen nun festigen und formalisieren.

Das Moto von ICAIN lautet «Rebalancing the Global AI Landscape». Sieht sich die Organisation als Gegenspieler zu den grossen Techfirmen?

Es ist wichtig, dass sich jemand wehrt, wenn AI-Ressourcen monopolisiert werden. Viele Menschen haben dieses Problem erkannt. Doch damit etwas passiert, muss jemand hinstehen und die Führung übernehmen; die richtigen Leute zusammenbringen und nach Lösungen suchen. Die Schweizer Regierung und die ETH Zürich haben das getan und damit das Fundament für diese wichtige internationale Initiative gelegt. Ich hoffe, dass wir die Partnerschaft bald auf weitere Kontinente ausweiten können.

Das bedeutet nicht, dass Big Tech schlecht ist. Wir alle sind auf ihre Produkte angewiesen und nutzen sie täglich. Damit KI fair und inklusiv ist, braucht es jedoch ein gesundes Ökosystem und nicht einen einzelnen, grossen Organismus.

Ein Teil dieses Ökosystems ist Data Science Africa. Welche Ziele verfolgt die Organisation?

Data Science Afrika ist eine pan-afrikanische Organisation mit Sitz in Kenia, die 2015 gegründet wurde. Wir wollen Datenwissenschaftler:innen und Industriepartner des Kontinents miteinander vernetzen, Ausbildungsangebote zur Verfügung stellen und gemeinnützige Forschungsprojekte im Bereich Machine Learning und Datenwissenschaften unterstützen. Wir haben das Ziel, künstliche Intelligenz und andere neue Technologien zur Lösung afrikanischer Probleme nutzbar zu machen.

Was sind denn spezifisch afrikanische Probleme?

Es gibt Herausforderungen, die speziell den afrikanischen Kontinent betreffen, sei es aus geografischen, wirtschaftlichen oder kulturellen Gründen. Wenn wir ein Problem haben, das im afrikanischen Kontext einzigartig ist, müssen wir es selbst lösen. Sonst macht es keiner.

Zur Person

Ciira wa Maina ist ausserordentlicher Professor an der Dedan Kimathi University of Technology in Nyeri, Kenia, wo er Elektrotechnik lehrt und in verschiedenen Bereichen wie Bioakustik, Internet der Dinge (IoT), maschinelles Lernen und Datenwissenschaft forscht. Seit September 2019 ist er Direktor des Centre for Data Science and Artificial Intelligence (DSAIL). Darüber hinaus ist er Vorstandsvorsitzender von Data Science Africa.

DSA unterstützt den Aufbau von ICAIN mit zwei Pilotprojekten. Beim einen geht es darum, die lokale Wettervorhersage zu verbessern und das andere soll es afrikanischen Bauern ermöglichen, mittels Smartphone und einem einfachen Spektrometer Pflanzenkrankheiten frühzeitig zu erkennen. Ist es ein Zufall, dass beide Projekte die Landwirtschaft effizienter machen wollen?

Nein. Wenn man Probleme priorisiert, fängt man bei den Grundbedürfnissen an und dazu gehört die Ernährung. Hier haben wir ausserdem zwei gute Beispiele für spezifisch afrikanische Probleme. Afrikanische Farmen betreiben zu weiten Teilen Regenfeldbau und sind folglich stark wetterabhängig. Ausserdem ist Afrika weltweit der mit Abstand grösste Produzent und Konsument von Maniok. In schlechten Jahren kann bis zu 70 Prozent der Produktion Krankheiten zum Opfer fallen. Dem wollen wir entgegenwirken, indem wir Landwirten ein günstiges Werkzeug zur Hand geben, um frühzeitig reagieren zu können. Natürlich arbeiten die Mitglieder von DSA parallel dazu an diversen Projekten, so beispielsweise in den Bereichen Gesundheit, Sprache und Umwelt.

«Es ist wichtig, dass sich jemand wehrt, wenn AI-Ressourcen monopolisiert werden.»      Prof. Ciira wa Maina

Sie sind Kenianer und Datenwissenschaftler. Mit wem können Sie sich einfacher verständigen, mit einem kenianischen Bauern oder einer Schweizer Datenwissenschaftlerin?

Gute Frage. Ich glaube, ich kann beides ganz gut. In Kenia sind wir stolz darauf, dass fast alle von uns Bauern sind und in irgendeiner Form mit der Erde zu tun haben. Sei es nur, indem wir im eigenen Garten Gemüse anpflanzen. Wir sind nicht losgelöst von dieser Tradition, wie dies vielleicht anderswo der Fall ist.

Die Wissenschaft sieht sich gerne als globales Unterfangen. In der Realität hat die ETH Zürich aber deutlich mehr Kooperationen mit Partnern in Europa und den USA. Die kulturelle und/oder geografische Nähe spielt dabei sicher eine Rolle. Wie erleben Sie das?

Jeder neigt dazu, mit den Leuten zusammenzuarbeiten, die er bereits kennt. Und je mehr funktionierende Arbeitsbeziehungen bestehen, desto weniger lässt man sich auf neue ein. In der Datenwissenschaft gibt es diesen Kompromiss zwischen Exploration und Exploitation: Wollen wir uns auf das Erkunden neuer Räume konzentrieren oder das vertiefen, was wir schon kennen? Wer nur das Letztere macht, verpasst vieles.

Zum Beispiel?

Wenn man neue Räume betritt, entdeckt man plötzlich Parallelen zu dem, was man schon kennt. Ich wusste vor ICAIN beispielsweise nicht, dass in der Schweiz verschiedene Sprachen und lokale Dialekte gesprochen werden. Ich dachte, das sei eine sehr Afrika-spezifische Herausforderung bei der KI-Nutzung. Nun zeigt sich, dass beide Seiten von den Erfahrungen des anderen profitieren können.

Sie haben im Rahmen der beiden Projekte zum ersten Mal mit Forschenden der ETH Zürich zusammengearbeitet. Wie haben Sie das erlebt?

Wir haben eine sehr gute Beziehung aufbauen können. Wir arbeiten eng mit dem CSCS zusammen. Sie helfen uns, Expertise im Bereich High Performance Computing aufzubauen. Und das ist ein wichtiger Aspekt von ICAIN. Da der Zugang zu Supercomputern auf unserem Kontinent limitiert ist, können nur wenige Studierende darauf ausgebildet werden. ICAIN sorgt dafür, dass sich das ändert.

Wann rechnen Sie den mit konkreten Ergebnissen aus den beiden Pilotprojekten?

Es kommt darauf an, was Sie als Ergebnis bezeichnen. Bis funktionierende Lösungen da sind, wird es einige Zeit dauern. Aber auf dem Weg dahin werden viele Studentinnen und Studenten Teilprojekte durchführen, Paper publizieren, auf Konferenzen auftreten und dabei wertvolles Know-how aufbauen. Auch das sind Ergebnisse

Besteht die Gefahr, dass diese Leute Afrika verlassen, nachdem sie dieses Fachwissen haben?

Das ist eine Sache von Angebot und Nachfrage. Alle Menschen sollten das Recht haben, zu leben, wo sie wollen. Es wird immer einige geben, die weggehen, um die Welt zu entdecken, und andere die in ihrer Heimat bleiben, um hier Neues zu schaffen. Das betrifft nicht nur Afrika. Wir müssen so viele Fachkräfte ausbilden, dass das System die individuellen Entscheide einzelner verkraftet.