Ein «Quantensprung» bei Raumtemperatur
Im Bereich der Quantenmechanik war es lange Zeit nicht möglich, Quantenphänomene bei Raumtemperatur zu beobachten und zu kontrollieren, vor allem nicht in einem grossen oder «makroskopischen» Massstab. Bisher waren solche Beobachtungen auf Umgebungen nahe dem absoluten Nullpunkt beschränkt, wo Quanteneffekte leichter zu erkennen sind. Das Erfordernis der extremen Kälte war jedoch eine grosse Hürde, die praktische Anwendungen der Quantentechnologien einschränkte.
Nun hat eine Studie unter der Leitung von Tobias J. Kippenberg und Nils Johan Engelsen an der EPFL die Grenzen des Möglichen neu definiert. Die Pionierarbeit verbindet Quantenphysik und Maschinenbau, um die Kontrolle von Quantenphänomenen bei Raumtemperatur zu erreichen.
«Das Erreichen des Regimes der Quantenoptomechanik bei Raumtemperatur ist seit Jahrzehnten eine offene Herausforderung», sagt Kippenberg, «unsere Arbeit realisiert effektiv das Heisenberg-Mikroskop, von dem man lange Zeit dachte, es sei nur ein theoretisches Spielzeugmodell.»
In ihrem in Nature veröffentlichten Versuchsaufbau haben die Forschenden ein extrem rauscharmes optomechanisches System geschaffen – einen Aufbau, in dem Licht und mechanische Bewegung miteinander verbunden sind, so dass sie mit hoher Präzision untersuchen und manipulieren können, wie Licht bewegte Objekte beeinflusst.
Das Hauptproblem bei Raumtemperatur ist das thermische Rauschen, das die empfindliche Quantendynamik stört. Um dies zu minimieren, verwendeten die Forschenden Hohlraumspiegel. Dabei handelt es sich um spezielle Spiegel, die das Licht in einem begrenzten Raum (dem Hohlraum) hin- und herprallen lassen und es so effektiv «einfangen» und seine Wechselwirkung mit den mechanischen Elementen im System verstärken. Um das thermische Rauschen zu verringern, sind die Spiegel mit kristallähnlichen periodischen Strukturen («phononische Kristalle») versehen.
Eine weitere entscheidende Komponente war ein 4 mm grosses trommelartiges Gerät, ein so genannter mechanischer Oszillator, der mit dem Licht im Inneren des Hohlraums wechselwirkt. Seine relativ grosse Grösse und sein Design sind der Schlüssel, um ihn von Umgebungsgeräuschen zu isolieren, was es ermöglicht, subtile Quantenphänomene bei Raumtemperatur nachzuweisen. «Die Trommel, die wir in diesem Experiment verwenden, ist der Höhepunkt jahrelanger Bemühungen, mechanische Oszillatoren zu schaffen, die von der Umgebung gut isoliert sind», sagt Engelsen.
Die kristallartigen Hohlraumspiegel mit der Trommel in der Mitte. Bildrechte: Guanhao Huang/EPFL
«Die Techniken, die wir für den Umgang mit bekannten und komplexen Rauschquellen eingesetzt haben, sind von grosser Bedeutung für die breitere Gemeinschaft der Präzisionssensorik und -messung», sagt Guanhao Huang, einer der beiden Doktoranden, die das Projekt leiteten.
Der Aufbau ermöglichte es den Forschenden, «optisches Squeezing» zu erreichen, ein Quantenphänomen, bei dem bestimmte Eigenschaften des Lichts, wie seine Intensität oder Phase, so manipuliert werden, dass die Fluktuationen in einer Variablen auf Kosten der Fluktuationen in der anderen reduziert werden, wie es das Heisenbergsche Prinzip vorschreibt.
Durch die Demonstration des optischen Squeezing bei Raumtemperatur in ihrem System haben die Forschenden gezeigt, dass sie Quantenphänomene in einem makroskopischen System effektiv kontrollieren und beobachten können, ohne dass extrem niedrige Temperaturen erforderlich sind.
Das Team ist der Ansicht, dass die Fähigkeit, das System bei Raumtemperatur zu betreiben, den Zugang zu optomechanischen Quantensystemen erweitern wird, die als Testumgebung für Quantenmessungen und Quantenmechanik auf makroskopischer Ebene etabliert sind.
«Das von uns entwickelte System könnte neue hybride Quantensysteme ermöglichen, bei denen die mechanische Trommel stark mit verschiedenen Objekten interagiert, z. B. mit eingeschlossenen Atomwolken», fügt Alberto Beccari, der andere Doktorand, der die Studie leitete, hinzu. Diese Systeme sind nützlich für die Quanteninformation und helfen uns zu verstehen, wie man grosse, komplexe Quantenzustände erzeugen kann.