Neurotechnologie verbessert das Gedächtnis ohne Operation
Mit zunehmendem Alter wird es immer schwieriger, sich zu merken, wo etwas ist - sei es, dass wir uns nicht daran erinnern, wo wir den Schlüssel hingelegt oder das Auto geparkt haben. Dieses räumliche Gedächtnis verschlechtert sich mit dem Ausbruch der Demenz weiter. Laut Alzheimer's Disease International erkrankt alle drei Sekunden ein Mensch auf der Welt an dieser Krankheit.
Forscherinnen und Forscher zweier EPFL-Labors haben sich zusammengetan, um das räumliche Gedächtnis zu verbessern. Dazu haben sie einen einzigartigen Versuchsaufbau geschaffen, der nicht-invasive Tiefenhirnstimulation, Virtual-Reality-Training und fMRI-Bildgebung kombiniert - alles auf dem Campus Biotech in Genf. Die in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlichte Studie zeigt, dass gezielte, schmerzfreie elektrische Impulse auf den Hippocampus und angrenzende Strukturen, eine tiefe Hirnregion, die an Gedächtnis und räumlicher Navigation beteiligt ist, die Fähigkeit des Gehirns verbessern können, sich an Orte zu erinnern und effektiver zu navigieren.
«Indem wir Wege finden, das räumliche Gedächtnis ohne chirurgische Eingriffe oder Medikamente zu verbessern, gehen wir ein ernstes Problem an, das eine grosse und wachsende Bevölkerungsgruppe betrifft: ältere Menschen sowie Patientinnen und Patienten mit Hirntrauma und Demenz», sagt Friedhelm Hummel, Leiter des Hummel-Labors.
Die Studie ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen dem Hummel-Labor und dem Laboratory of Cognitive Neuroscience(LCNO) von Olaf Blanke, beide am Institut Neuro X der EPFL. Durch die Kombination von Hummels Expertise in der nicht-invasiven Hirnstimulation mit Blankes kognitiver Forschung zur räumlichen Navigation in Virtual-Reality-Umgebungen entwickelten die Forscherinnen und Forscher einen einzigartigen neurotechnologischen Aufbau.
Einzigartige Kombination von Neurotechnologien
Das Experiment beginnt damit, dass die Forschenden vier harmlose Elektroden auf den Köpfen gesunder Personen platzieren, um den Hippocampus und die angrenzenden Strukturen zu stimulieren. Bei dieser nicht-invasiven Technik, die als transkranielle temporale elektrische Interferenzstimulation (tTIS) bezeichnet wird, werden gezielte Impulse gesendet, ohne dass die Teilnehmenden sich dabei unwohl fühlen.
Anschliessend tauchen die Freiwilligen mithilfe einer VR-Brille in eine virtuelle Welt ein. Aufbauend auf früheren Forschungsarbeiten der Erstautorin Hyuk-June Moon stellen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Teilnehmenden die Aufgabe, durch eine Reihe von Orten zu navigieren und sich an wichtige Orientierungspunkte zu erinnern. Diese immersive virtuelle Umgebung ermöglicht es den Forschenden, genau zu messen, wie gut sich die Teilnehmenden an räumliche Informationen erinnern und navigieren können, während sie tTIS erhalten.
«Nach der Stimulation beobachteten wir eine deutliche Verbesserung der Erinnerungszeit der Teilnehmenden, d. h. der Zeit, die sie brauchten, um sich in Richtung des Objekts zu bewegen, an das sie sich erinnerten», sagt Elena Beanato, die andere Erstautorin der Studie. Sie fügt hinzu: «Dies führt uns zu der Annahme, dass wir durch die Stimulation des Hippocampus die Plastizität des Gehirns vorübergehend erhöht haben, was in Verbindung mit dem Training in einer virtuellen Umgebung zu einer besseren räumlichen Navigation führt.
Das gesamte Experiment wurde in einem fMRI-Scanner durchgeführt. Dadurch erhielten die Forscherinnen und Forscher Echtzeitbilder der Hirnaktivität, mit denen sie verfolgen konnten, wie der Hippocampus und die umliegenden Regionen während der räumlichen Navigationsaufgaben auf tTIS reagierten. Die fMRI-Daten zeigten Veränderungen in der neuronalen Aktivität, die mit den beobachteten Verhaltensänderungen einhergingen, insbesondere in den Regionen, die für das Gedächtnis und die Navigation verantwortlich sind, was den Forschenden einen tieferen Einblick in die Modulation der Hirnfunktion durch nicht-invasive Stimulation ermöglichte.
Diese Integration fortschrittlicher Technologien am Neuro X Institute der EPFL macht Campus Biotech zu einem der wenigen Orte, wo alle drei experimentellen Techniken in einer einzigen Studie kombiniert werden können.
«Die Verbindung von tTIS, virtueller Realität und fMRT bietet einen hochgradig kontrollierten und innovativen Ansatz, um die Reaktion des Gehirns auf Stimulationen und deren Auswirkungen auf kognitive Funktionen zu untersuchen», fügt Olaf Blanke hinzu, «Langfristig können wir uns vorstellen, mit diesem Ansatz gezielte Therapien für Patientinnen und Patienten mit kognitiven Beeinträchtigungen zu entwickeln, die einen nicht-invasiven Weg zur Verbesserung von Gedächtnis und räumlichen Fähigkeiten bieten.»