Wohnungen heizen mit der Wärme von Tiefgaragen
Mehr als ein Drittel der in der Schweiz jährlich verbrauchten Energie wird zum Heizen verwendet. Und fast 60 % der in Schweizer Wohngebäuden verbrauchten Heizenergie stammt aus fossilen Brennstoffen – damit ist die Schweiz die grösste Verbraucherin dieser Art in Europa. Die gute Nachricht ist, dass die Abhängigkeit des Landes von fossilen Brennstoffen in den kommenden Jahren abnehmen dürfte, dank der Anreize von Bund und Kantonen, der Fortschritte bei den Dämmstoffen und der neuen Technologien. Immer mehr Gebäudeeigentümerinnen installieren hybride Systeme, die verschiedene Energiearten nutzen, um den Einsatz fossiler Brennstoffe zu begrenzen – und die Technologie von Enerdrape ist genau für diese Art von Systemen geeignet. Die geothermischen Wandpaneele von Enerdrape können in unterirdischen Strukturen installiert werden und die im Boden vorhandene Wärme zurückgewinnen. Die Paneele werden derzeit in einem Pilotversuch auf einem Parkplatz im Lausanner Stadtteil Sébeillon getestet, wo sie bis zu einem Drittel der Energie liefern können, die für die Beheizung der rund 60 Wohnungen im darüber liegenden Gebäude benötigt wird.
Konstante Wärme das ganze Jahr über
Das System von Enerdrape wurde entwickelt, um unterirdische Wände optimal zu nutzen und eine natürliche, nachhaltige Ressource an Orten zu erschliessen, wo sie sonst ungenutzt bliebe. Es besteht aus zehn blau-weißen Paneelen, die 1,3 m x 0,7 m gross sind und aus einem Metall bestehen, das nicht dicker als die Leinwand eines Künstlers ist. Jedes Paneel fungiert als Wärmetauscher, der sowohl geothermische Energie als auch Umgebungsenergie aufnimmt. Eine Wärmepumpe leitet diese Energie dann in das darüber liegende Gebäude und sorgt so das ganze Jahr über für eine konstante Versorgung. « Die Bodentemperatur schwankt nicht mehr, sobald man sich einige Meter unter der Erde befindet», sagt Margaux Peltier, die Geschäftsführerin von Enerdrape, «das bedeutet, dass die von unseren Paneelen erzeugte Energie nicht von den Wetterbedingungen oder der Jahreszeit abhängig ist.»
Mit ihrem eleganten Design verleihen die Paneele den tristen Parkhauswänden ein neues Gesicht. Aber das ist natürlich nicht der Grund, warum Alberto Simonato, Direktor von Realstone – der Eigentümerin des Parkplatzes in Lausanne – zugestimmt hat, die Technologie von Enerdrape zu testen. Realstone unterstützte Enerdrape auch bei der Beantragung eines BRIDGE Proof of Concept-Stipendiums des Schweizerischen Nationalfonds und der Innosuisse: «Wir fördern häufig Start-ups, die innovative Technologien zur Reduzierung der CO2-Emissionen entwickeln – ein Thema, bei dem wir eine proaktive Haltung einnehmen und den eidgenössischen und kantonalen Baunormen einen Schritt voraus sind», sagt Simonato. «Wir arbeiten auch mit einem anderen EPFL-Start-ups zusammen, um in einigen unserer Gebäude Fernzähler für die Heizungs- und Wasserversorgung zu installieren», so Simonato. Realstone besitzt fünf Gebäude im Stadtteil Sébeillon mit insgesamt 356 Wohnungen. «Wenn sich die Paneele von Enerdrape als so effektiv erweisen, wie wir erwarten, könnten wir sie an den erdberührten Wänden eines Parkplatzes mit 275 Plätzen oder in einigen unserer anderen Gebäude installieren», sagt Simonato.
Die Mitbegründerinnen von Enerdrape haben an der EPFL zwei Jahre lang eine Reihe von unterirdischen Tests durchgeführt, um das Marktpotenzial ihrer Technologie zu überprüfen. Vor allem Peltier hat im Rahmen ihrer ingenieurwissenschaftlichen Forschung am Labor für Bodenmechanik der EPFL verschiedene Wärmeaustauschflüssigkeiten und Rohrgrössen untersucht. Am Ende erwies sich der Ertrag der Platten als besser als erwartet. Es stimmt auch, dass in den Städten heute im Allgemeinen mehr Platz in Tiefgaragen zur Verfügung steht als für die Installation anderer Arten von erneuerbaren Energiesystemen. Und die Wände unterirdischer Bauwerke stellen oft Flächen dar, die sonst keine Einnahmen generieren würden, vor allem in Stadtteilen mit teuren Immobilien. Die Paneele von Enerdrape könnten in den nächsten Jahren in neuen und bestehenden Gebäuden installiert werden, zu Kosten, die mit denen anderer Systeme vergleichbar sind, und mit einem Ertrag, der mindestens genauso gut, wenn nicht sogar besser ist. Der einzige Haken an der Sache ist, dass die Betonwände, an denen die Paneele angebracht werden, in direktem Kontakt mit dem Boden stehen müssen, damit die Paneele die geothermische Energie einfangen können.
Auch nützlich für Bahnhöfe, U-Bahn-Stationen und Tunnel
Enerdrape wurde 2019 gegründet und hat bereits mehrere Start-up-Stipendien und Auszeichnungen erhalten. Neben dem Pilotversuch in Sébeillon, der noch bis Ende Jahr läuft, stellen Peltier und ihre Mitarbeitenden eine Finanzierungsrunde zusammen und hoffen, bis zum nächsten Sommer rund 2 Millionen Franken einzunehmen. Mit dem Erlös wollen sie eine erste Produktionsserie ihrer Panels starten, um für den Markteintritt gerüstet zu sein.
Die Technologie des Unternehmens ist ein Beispiel für eine «Energie-Geostruktur», bei der das Labor für Bodenmechanik eine Vorreiterrolle spielt. Diese Systeme nutzen unterirdische Strukturen wie Gebäudefundamente als Energiequellen. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) muss sich der Anteil sauberer Heiztechnologien – zu denen auch Wärmepumpen und Fernwärme gehören – bis 2030 auf 50 % des Umsatzes mehr als verdoppeln, um das Szenario der IEA für eine nachhaltige Entwicklung zu erfüllen. Enerdrape hofft, bei der Erreichung dieses Ziels eine Rolle zu spielen. Die Technologie von Enerdrape kann nicht nur in Tiefgaragen, sondern auch in Tunneln, Bahnhöfen und U-Bahnen eingesetzt werden: «Unsere Forschungen haben gezeigt, dass unsere Paneele auch dann effektiv arbeiten können, wenn sie eine rundere Form haben, wie sie zum Beispiel im Inneren eines Tunnels erforderlich ist», sagt Peltier.