Komfortable, interaktive und kohlenstofffreie Gebäude

Künftig werden Gebäude ihren Bewohnerinnen und Bewohnern einen verbesserten, individuelleren Komfort bieten und gleichzeitig keine Kohlenstoffemissionen mehr verursachen. Dies wird dank Fortschritten bei Sensoren und künstlicher Intelligenz möglich sein, die neue Wege der Interaktion mit unserer Umgebung ermöglichen, während die endgültige Kontrolle in den Händen der Bewohnerinnen und Bewohner bleibt. Allerdings müssen wir als Nutzer auch unsere Gewohnheiten dauerhaft ändern.
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Die Bauindustrie – der zweitgrösste Verursacher von Treibhausgasemissionen und der grösste Endverbraucher von Energie – gestaltet eine neue Zukunft, die von technologischen Innovationen und der Reaktion auf den Klimawandel bestimmt wird. Gebäude wurden lange Zeit als passive Strukturen betrachtet, aber sie sind dabei, intelligente, interaktive und nachhaltige Umgebungen zu werden. Wird es möglich sein, diesen Wandel zu vollziehen und komfortablere Wohnungen und Büros zu schaffen und gleichzeitig den Energieverbrauch von Gebäuden zu senken? Die Antwort lautet ja, aber nur, wenn wir auch unsere Gewohnheiten ändern. Ingenieurfachleute untersuchen Methoden, um die Umstellung auf saubere Energie mit dem Wunsch nach komfortableren Gebäuden in Einklang zu bringen, die auch das Wohlbefinden der Bewohnenden verbessern und sich an ihr Verhalten anpassen. Ein Projekt in diesem Sinne ist SWICE, das von der EPFL geleitet und von einem Konsortium zahlreicher Schweizer Hochschulen zusammen mit Partnern aus dem privaten und öffentlichen Sektor durchgeführt wird. Das Projekt wird vom Bundesamt für Energie (BFE) finanziert und ist Teil der Strategie des Landes, bis 2050 einen Netto-Nullenergieverbrauch zu erreichen.

Kontrolle: ein Schlüsselelement des Komforts

Innenräume sind ein wichtiger Bestandteil unseres täglichen Lebens. Laut einer unabhängigen Studie verbringen wir 90 % unserer Zeit in Innenräumen, sei es bei der Arbeit, zu Hause oder in der Freizeit – diese Zahl berücksichtigt auch die Pendlerzeit. Das Wohlbefinden der Gebäudenutzenden ist daher ein wichtiges, aber auch ein subjektives Thema: «Wenn wir über den Komfort der Nutzenden sprechen, müssen wir zwischen ihren Bedürfnissen und ihren Erwartungen unterscheiden», sagt Marilyne Andersen, Koordinatorin des SWICE-Projekts und Leiterin des Laboratory of Integrated Performance in Design (LIPID) der EPFL. Während sich die Bedürfnisse auf die Mindestbedingungen beziehen, die wir brauchen, um gesund zu bleiben, werden die Erwartungen durch die Gesellschaft, in der wir leben, unsere persönlichen Vorlieben, das Klima in der Natur und kulturelle Faktoren geprägt.

Marilyne Andersen. © 2024 EPFL - Illustration von Jeanne Guerard

«Es ist klar, dass ein Lebensstil, der sich an den Bedürfnissen und nicht an den Erwartungen orientiert, besser für die Umwelt wäre», sagt Andersen, «aber ironischerweise gibt es einige Fälle, in denen einige der Kernbedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner nicht erfüllt werden – zum Beispiel ausreichender Zugang zu Tageslicht –, während die mit dem technologischen Fortschritt verbundenen Erwartungen, wie die Möglichkeit, die Innenbeleuchtung mit Sprachbefehlen zu steuern, erfüllt werden. Wenn man davon ausgeht, dass der Hauptzweck von Gebäuden nach wie vor darin besteht, die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner zu befriedigen, sollten Architektinnen und Architekten letztlich danach streben, sowohl die Bedürfnisse als auch die Erwartungen zu erfüllen und gleichzeitig sicherzustellen, dass die Ressourcen wirtschaftlich genutzt werden. Komfort ist ein subjektives, relativ persönliches Konzept, auch wenn wir bestimmte Trends festgestellt haben, die auf die meisten Menschen zutreffen.»

Eine Studie von Andersens Forschungsgruppe hat beispielsweise ergeben, dass die thermische Behaglichkeit der Bewohnenden durch die Farbe der Beleuchtung im Raum beeinflusst werden kann, wobei rötliche Farben den Bewohnerinnen und Bewohnern den Eindruck einer etwas höheren Umgebungstemperatur vermitteln als blaue. «Studien haben auch gezeigt, dass sich die Bewohnerinnen und Bewohner wohler fühlen, wenn sie Einfluss auf ihre Umgebung nehmen können, wenn sie beispielsweise wissen, dass sie ein Fenster öffnen können», sagt Andersen. Der Einfluss von Faktoren wie Luftqualität in Innenräumen, natürliches Licht und Geräuschpegel kann sehr wichtig sein und hat zunehmend nachgewiesene Auswirkungen auf die Gesundheit der Bewohnenden. Andersen fügt hinzu: «Ein Mangel an Tageslicht zum Beispiel – was häufig vorkommt, wenn Menschen viel Zeit in Innenräumen verbringen, wo es in der Regel etwa 100 Mal weniger Licht gibt als draussen – kann negative Auswirkungen auf Konzentration, Produktivität, Stimmung, Immunsystem und sogar Schlafqualität haben.»

Dolaana Khovalyg. © 2024 EPFL - Illustration von Jeanne Guerard

«Starke, fast einfühlsame Bindung an ihr Gebäude»

Moderne Gebäude sind mit einer Reihe von Sensoren zur Messung von Temperatur, Rauch, Luftqualität, Belegung (zur Anpassung der Beleuchtung) und mehr ausgestattet. Einige Gebäude verfügen auch über Geräte, die automatisch die Beleuchtung und die Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen (HVAC) für maximale Effizienz steuern. Darüber hinaus könnten diese Geräte bald mit künstlicher Intelligenz (KI) ausgestattet werden, um die Gewohnheiten der Bewohnerinnen und Bewohner zu «lernen» und die Umgebungsbedingungen in Echtzeit entsprechend anzupassen. So könnte ein KI-gesteuertes System beispielsweise die Temperatur eines Raums im Winter automatisch senken, nachdem es festgestellt hat, dass dieser leer ist, was zu erheblichen Energieeinsparungen führen würde. Die Ingenieurfachleute des EPFL-Labors für integriertes Komfort-Engineering unter der Leitung von Dolaana Khovalyg haben diese Art von intelligenten Steuerungen entwickelt und mit Hilfe von Reinforcement Learning trainiert: «Unsere Geräte können die Steuerungseinstellungen für ein Innenraumklima kontinuierlich und autonom anpassen und dabei mehrere Ziele, wie die Senkung des Energieverbrauchs und die Maximierung des Komforts sowie der Sicherheit der Bewohnerinnen und Bewohner, gleichzeitig anstreben», sagt Khovalyg. Ihr Team geht nun noch einen Schritt weiter und entwickelt Modelle zur Vorhersage der Stoffwechselrate von Personen bei ihren täglichen Aktivitäten in Innenräumen. Diese Daten werden zur Entwicklung von Steuerungsstrategien verwendet, die automatisch die Heizung oder Kühlung in der unmittelbaren Umgebung einer Person anpassen.

Denis Lalanne. © 2024 EPFL - Illustration von Jeanne Guerard

Die jüngsten Fortschritte in der KI haben sie zu einem leistungsstarken Werkzeug für personalisierte, effiziente Gebäudesteuerungssysteme gemacht. Fachleute sind sich jedoch einig, dass der Mensch das letzte Wort über seine Innenräume haben muss. Zumindest psychologisch gesehen verbessert das Gefühl der Kontrolle das Komfortgefühl. Denis Lalanne, Experte für Mensch-Gebäude-Interaktion an der Universität Freiburg, erklärt: «Bei intelligenten Gebäuden ist es fast so, als würden die Bewohnenden in einen Computer eintreten. Sie leben und arbeiten in einem intelligenten Gebäude, zu dem sie eine starke, fast einfühlsame Beziehung aufbauen müssen, damit es die Umgebungseinstellungen genau so anpassen kann, dass maximaler Komfort und minimale Kohlendioxidemissionen gewährleistet sind.» Mensch-Gebäude-Interaktion (HBI) ist ein schnell wachsender Bereich, der den Bewohnerinnen und Bewohner wieder als Akteurin und nicht nur als passiven Nutzer in das Gebäude integriert.

An der EPFL führt Andrew Sonta, Leiter des Labors für Bauingenieurwesen und Technologie für menschenorientierte Nachhaltigkeit, wichtige Forschungsarbeiten in diesem Bereich durch. «Innenraumsensoren sammeln nicht nur Daten über die Umgebungsbedingungen, sondern geben auch Aufschluss darüber, wie die Bewohnerinnen und Bewohner mit einem Gebäude interagieren und wie sie die Leistung des Gebäudes beeinflussen», sagt er. Seine Forschungsgruppe hat die Interaktion zwischen Mensch und Gebäude untersucht, indem sie Indikatoren, wie den Stromverbrauch und die CO2-Konzentration in verschiedenen Räumen gemessen hat. «Menschen atmen mehr Sauerstoff ein, wenn sie sprechen, was zu einem Anstieg der CO2-Konzentration in der Luft führen könnte», sagt er. «Durch die Erfassung dieser Daten können wir uns ein Bild von der sozialen Nutzung eines Gebäudes durch die Bewohnenden machen.»

Andrew Sonta. © 2024 EPFL - Illustration von Jeanne Guerard

Innovative Technologien werden einen grossen Beitrag zur Erreichung des doppelten Ziels eines höheren Wohnkomforts und eines geringeren Energieverbrauchs leisten. Aber als Gesellschaft müssen wir auch unsere Erwartungen anpassen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des SWICE-Projekts erproben daher neue Ansätze in einer Reihe von «Living Labs» - realen Experimentierräumen, in denen sie direkt mit den Nutzenden von Wohn- und Bürogebäuden zusammenarbeiten, um herauszufinden, wie sich neue Ansätze in die täglichen Aktivitäten der Bewohnerinnen und Bewohner einfügen. «Die Massnahmen in den Living Labs werden in aktiver Zusammenarbeit mit den Bewohnerinnen und Bewohnern und damit den künftigen Nutzerinnen und Nutzern entwickelt, um das Bewusstsein für diese Massnahmen zu schärfen», sagt Andersen, «ihre Auswirkungen werden dann unter realen Bedingungen getestet, gemessen und untersucht, um uns konkrete Daten zu liefern. Dies dient als Pilotprojekt für die Entwicklung künftiger Massnahmen, die für offenere Kontexte relevant sind und in grösserem Massstab durchgeführt werden könnten.» Bei der Interaktion zwischen Mensch und Gebäude können Ingenieure verschiedene Arten von Sensoren einsetzen, um die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner besser zu verstehen und die Fähigkeit der Gebäude zu verbessern, diese zu erfüllen. Sensoren können auch die Art und Weise verbessern, wie Informationen über ein Gebäude an seine Bewohnerinnen und Bewohner übermittelt werden. «Es sind Beiträge von beiden Seiten erforderlich», sagt Lalanne, «Maschinen können nicht alles allein vorhersagen, und es muss noch daran gearbeitet werden, wie sie ihre Betriebsbedingungen den Bewohnerinnen und Bewohnern mitteilen können.»

© 2024 EPFL - Illustration von Jeanne Guerard

Der Wohnraum von morgen wird kollektiv und in die Stadtplanung integriert sein

Ist das klischeehafte Haus mit weissem Lattenzaun auf dem Weg zum Aussterben? Gemäss den Zahlen des Bundesamts für Statistik aus dem Jahr 2022 machen die Einfamilienhäuser heute mehr als die Hälfte der Wohnungen in der Schweiz aus (obwohl die Grösse dieser Häuser in den letzten 50 Jahren wegen der hohen Bodenpreise stark abgenommen hat). Angesichts der Wohnungsknappheit in den Schweizer Grossstädten, der Bestrebungen, den Flächenverbrauch zu stoppen und des Ziels, die Biodiversität zu erhalten sowie die Treibhausgasemissionen des Landes zu senken, wird sich der Trend wahrscheinlich hin zu kollektiven Wohnformen verschieben. Diese sollen nach einer neuen, ökologischeren Form der Stadtarchitektur entworfen werden, welche auf die Herausforderungen des Klimawandels reagiert.

«Im Rahmen von SWICE untersuchen wir, wie sich das Konzept der Energieeinsparung auf die städtischen Zentren der Schweiz übertragen lässt», sagt Andersen, «dabei geht es darum, die komplexen Faktoren, die das Wohlbefinden des Einzelnen ausmachen, mit dem Grad der Verhaltensänderung in Einklang zu bringen, den die Menschen bereit sind zu akzeptieren. Unser Ansatz umfasst das Konzept der Lebensqualität durch die Gestaltung öffentlicher Räume, die Bepflanzung – einschliesslich der Fähigkeit der Vegetation, die Temperaturen in der Stadt zu senken –, die Abstände zwischen den Gebäuden und die potenzielle Dynamik der Gebäudenutzung. Wir befassen uns auch mit dem Energie-Fussabdruck städtischer Verkehrssysteme, vor allem im Zusammenhang mit dem Pendlerverkehr.