Der Macht des Mikrobioms auf der Spur
In und auf den Blättern und Wurzeln von Pflanzen leben Hunderte von verschiedenen Bakterienarten, die das Forschungsteam um Julia Vorholt vom Institut für Mikrobiologie der ETH Zürich in Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland vor sechs Jahren erstmals inventarisiert und katalogisiert hat. Damals isolierten sie auch 224 Stämme aus den unterschiedlichen Bakteriengruppen, die die Gemeinschaften auf den Blättern der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) bilden. Diese lassen sich zu vereinfachten, so genannten synthetischen Pflanzen-Mikrobiomen zusammensetzen. Damit legten die Forscherinnen und Forscher auch den Grundstein für die beiden neuen Studien, die sie soeben in den Fachzeitschriften «Nature Plants» und «Nature Microbiology» veröffentlicht haben.
Lautstärkeregler der Pflanzenantwort
In der ersten Studie interessierten sich die Forschenden dafür, wie Pflanzen auf ihre Besiedelung durch Mikroorganismen reagieren. Dabei träufelte das Team um Vorholt Bakterienkulturen auf die Blätter von Pflanzen, die die Forschenden bis zu diesem Zeitpunkt unter sterilen Bedingungen aufgezogen hatten. Wie erwartet lösten verschiedene Bakterienarten unterschiedliche Antworten der Pflanze aus. Während etwa einzelne Vertreter der Gamma-Proteobakterien dazu führten, dass die Ackerschmalwand die Aktivität von insgesamt über 3000 verschiedenen Genen veränderte, reagierten die Pflanzen auf Vertreter der Alpha-Proteobakterien mit im Schnitt nur 88 verstärkt aktivierten Genen.
«Trotz dieser grossen Vielfalt, mit der die Pflanze auf unterschiedliche Bakterien des Mikrobioms reagiert, haben wir erstaunlicherweise eine zentrale Pflanzenantwort gefunden: Ein Kernsatz von 24 Genen wird praktisch immer angestellt», sagt Vorholt. Mehr noch: Wie eine Art Lautstärkeregler der Pflanzenantwort gibt die Intensität der Aktivierung dieser 24 Gene Auskunft darüber, wie stark die Pflanze von Bakterien besiedelt wird. Und der Lautstärkeregler sagt auch voraus, wie viele weitere Gene die Pflanze im Verlauf der Anpassung an diese Besiedlung anschaltet.
Pflanzen mit Defekten in einigen dieser 24 Gene sind anfälliger gegenüber schädlichen Bakterien, wie das Team um Vorholt gezeigt hat. Und da bereits in anderen Studien einige Gene aus dem Kernsatz im Zusammenhang mit der Reaktion von Pflanzen auf osmotischen Stress oder Pilzbefall aufgefallen waren, interpretieren die ETH-Forschenden die 24 Gene als generelle Abwehrantwort. «Es sieht nach Immuntraining aus, auch wenn die Bakterien, die wir verwendet haben, keine Krankheitserreger, sondern Partner in den natürlichen Lebensgemeinschaften sind», sagt Vorholt.
Bakteriengemeinschaft aus dem Gleichgewicht
In der zweiten Studie untersuchten Vorholt und ihr Team, wie sich die Bakteriengemeinschaften verändern, wenn der Pflanze aufgrund von Mutationen einzelne oder mehrere Gene abhanden kommen. Dass Gendefekte bei Rezeptoren, mit denen Pflanzenzellen die Präsenz von Mikroben aufspüren, in dieser Geschichte eine wichtige Rolle spielen, war vorauszusehen.
Überraschenderweise erzielte jedoch ein anderer Gendefekt die grösste Wirkung: Fehlte den Pflanzen ein bestimmtes Enzym, eine so genannte NADPH-Oxidase, geriet die Bakteriengemeinschaft aus dem Lot. Mit diesem Enzym stellen Pflanzen hochreaktive Sauerstoffradikale her, die antimikrobiell wirken. Ohne NADPH-Oxidase entwickelten sich Mikroben, die unter normalen Umständen friedlich auf den Blättern lebten, zu (so genannten opportunistischen) Pathogenen.
Gehört die NADPH-Oxidase zum 24-Gene-Kernsatz der generellen Abwehrantwort? «Leider nein, das wäre zu schön gewesen», lacht Sebastian Pfeilmeier, Mitarbeiter in Vorholts Forschungsgruppe und Erstautor der Studie. Das liegt auch daran, dass das Gen für die NADPH-Oxidase schon vor dem Kontakt mit Mikroben angeschaltet ist – und dass das Enzym durch chemische Veränderungen (so genannte Phosphorylierungen) aktiviert wird.
Für Vorholt belegen die beiden Studien, dass die synthetischen Mikrobiome ein vielversprechender Ansatz sind, um die komplexen Wechselwirkungen in den Lebensgemeinschaften zu untersuchen. «Weil wir die Gemeinschaften kontrolliert und gezielt zusammensetzen können, kommen wir über das Beobachten hinaus – und können die Ursachen und Wirkungen nicht nur feststellen, sondern auch auf molekularer Ebene verstehen», sagt Vorholt. Ein optimales Mikrobiom schützt die Pflanzen vor Krankheiten und macht sie auch widerstandsfähiger gegen Trockenheit und Salz. Aus diesem Grund interessiert sich auch die Agrarindustrie für ihre Resultate. Sie sollen helfen, die Macht des Mikrobioms für die Landwirtschaft der Zukunft nutzbar zu machen.