Schlüsselfaktor zur Bildung molekularer Netzwerke entdeckt
Die kovalente Bindung ist ein weithin bekanntes Phänomen, bei dem die Atome eines Moleküls durch ein gemeinsames Elektronenpaar verbunden sind. In der Natur können Molekülmuster aber auch durch schwächere, dynamischere Kräfte verbunden sein, die zu supramolekularen Netzwerken führen. Diese können sich aus einem anfänglichen Molekülcluster oder -kristall selbst zusammensetzen und zu grossen, stabilen Architekturen wachsen.
Supramolekulare Netzwerke sind für die Aufrechterhaltung der Struktur und Funktion biologischer Systeme unerlässlich. Um zu «fressen», sind Zellen beispielsweise auf hexagonale supramolekulare Netzwerke angewiesen, die sich aus Einheiten des dreiarmigen Proteins Clathrin selbst zusammensetzen. Clathrin-Netzwerke bilden Blasen um Nährstoffe, um sie in die Zelle zu bringen. In ähnlicher Weise bildet ein Protein namens TRIM5a ein hexagonales Gitter, das sich um HIV-Viren herum bildet und dazu beiträgt, deren Replikation zu stören.
«Diese hexagonale Netzwerkstruktur ist in der Natur allgegenwärtig - man kann sie sogar auf der Makroebene sehen, zum Beispiel in Bienenstöcken», erklärt Maartje Bastings, Leiterin des Programmable Biomaterials Lab (PBL) an der EPFL-Fakultät für Ingenieurwesen.
Für ihre jüngste Studie, die in Nature Chemistry veröffentlicht wurde, verwendeten die Forscher der PBL und des Labors für Bio- und Nano-Instrumentierung (LBNI) unter der Leitung von Georg Fantner nanotechnisch hergestellte DNA-Stränge in Form eines Dreipunktsterns, um die verschiedenen Faktoren zu isolieren und zu untersuchen, die die Bildung kristalliner supramolekularer Netzwerke steuern. Dabei entdeckten sie einen «Definitionsparameter», der sogar noch wichtiger ist als die chemische Bindungsstärke oder -anzahl.
Die Flexibilität der Schnittstellen wird immer gewinnen».
Wie bei der menschlichen DNA variierte die Zusammensetzung der DNA-Moleküle mit drei Spitzen durch ihre Nukleotidsequenzen, was ihre Wechselwirkungsstärke (Affinität) mit benachbarten Molekülen beeinflusste. Für diese Studie führten die Forschenden jedoch eine zusätzliche Variable ein: Durch nuancierte Änderungen der Längen der Stränge, aus denen die drei Arme der Monomere bestehen, konnten sie die lokale und globale Flexibilität der Arme modulieren.
Mit Hilfe der Hochgeschwindigkeits-Atomkraftmikroskopie beobachtete das Team, dass sich die DNA-Sterne mit kürzeren, starren «Armen» in stabilen hexagonalen Netzwerken organisierten, während diejenigen mit längeren, flexibleren Armen keine grossen Netzwerke bilden konnten. Simulationen ergaben, dass die kurzen Arme fast viermal häufiger in einer parallelen Form angeordnet waren, die für die Verbindung mit anderen Molekülen günstiger war, während die längeren Arme dazu neigten, sich zu weit auseinander zu spreizen, um stabile Verbindungen zu schaffen. Die Forschenden bezeichneten diese Variation als Schnittstellenflexibilität.
«Die Schnittstelle, an der zwei Moleküle zusammentreffen, muss starr sein; wenn eine davon flexibel ist, ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass die Moleküle verbunden bleiben. Die Stärke der Bindung spielt keine Rolle – die Flexibilität der Schnittstelle wird immer gewinnen. Das steht im Gegensatz zu dem, was man bisher verstanden hat», sagt Bastings.
Interessanterweise zeigten die Forschenden auch, dass die Flexibilität der Grenzfläche fein abgestimmt werden kann: Bei flexiblen Molekülen konnten sie die lokale Steifigkeit an der Bindungsgrenzfläche so weit wiederherstellen, dass das Wachstum des Netzwerks unterstützt wurde, während die Moleküle insgesamt grösser blieben: «Das bedeutet, dass selbst global flexible Monomere immer noch zu Netzwerken wachsen können, wenn die Flexibilität der Grenzfläche an der Bindungsstelle kontrolliert wird», fasst Bastings zusammen.
Aufbauen oder zerstören
Bastings zufolge könnte diese Arbeit die Art und Weise verändern, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Proteine und andere Moleküle für die Selbstorganisation entwerfen, und neue Möglichkeiten für zelluläre Nanotherapien schaffen. Gezielte Ansätze könnten sich z. B. auf die Steifigkeit beim Entwurf neuer supramolekularer Netzwerke aus Proteinen konzentrieren oder auf die Induzierung von Flexibilität für den strategischen Abbau oder die Verhinderung unerwünschter Netzwerke, wie Amyloid-Plaques, die im Zusammenhang mit der Alzheimer-Krankheit auftreten. Sie sieht auch Anwendungen in der Spintronik voraus, wo die Selbstorganisation wohldefinierter nanoskaliger Netzwerke zum Aufbau der nächsten Generation von Elektronik beitragen könnte.
Sie schreibt diesen Erfolg der Initiative der Studierenden in ihrem Labor und der Mitarbeitenden des LBNI zu. Und sie vergisst nicht, dem bescheidenen DNA-Molekül die gebührende Anerkennung zu zollen.
«Fortschritte in der interdisziplinären DNA-Nanotechnologie und in der Kontrolle von Eigenschaften auf atomarer Ebene haben es möglich gemacht, die DNA aus dem genomischen Kontext herauszulösen und sie in ein Arbeitspferd für die Entdeckung globaler physikalischer Wechselwirkungen zu verwandeln – wie die Flexibilität von Schnittstellen.