Neue Benchmark hilft, die schwierigsten Quantenprobleme zu lösen

Die Vorhersage des Verhaltens vieler interagierender Quantenteilchen ist ein komplizierter Prozess, aber der Schlüssel, um das Quantencomputing für reale Anwendungen nutzbar zu machen. Eine von der EPFL geleitete Forschungsgruppe hat eine Methode entwickelt, um Quantenalgorithmen zu vergleichen und zu ermitteln, welche Quantenprobleme am schwierigsten zu lösen sind.
©EPFL/iStock photos (Peter Hansen)

Von subatomaren Teilchen bis hin zu komplexen Molekülen – Quantensysteme sind der Schlüssel zum Verständnis der Funktionsweise des Universums. Die Sache hat jedoch einen Haken: Wenn man versucht, diese Systeme zu modellieren, gerät die Komplexität schnell ausser Kontrolle – man stelle sich nur vor, man wollte das Verhalten einer riesigen Menschenmenge vorhersagen, in der jeder ständig alle anderen beeinflusst. Wenn man diese Menschen in Quantenpartikel verwandelt, hat man es mit einem «Quanten-Vielteilchenproblem» zu tun.

Bei Quanten-Vielteilchen-Problemen geht es darum, das Verhalten einer grossen Anzahl von interagierenden Quantenteilchen vorherzusagen. Die Lösung dieser Probleme kann enorme Fortschritte in Bereichen wie Chemie und Materialwissenschaft ermöglichen und sogar die Entwicklung neuer Technologien wie Quantencomputer vorantreiben.

Aber je mehr Teilchen man in den Mix wirft, desto schwieriger wird es, ihr Verhalten zu modellieren, insbesondere wenn man nach dem Grundzustand oder dem niedrigsten Energiezustand des Systems sucht. Dies ist wichtig, da der Grundzustand den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Aufschluss darüber gibt, welche Materialien stabil sind, und sogar exotische Phasen wie Supraleitung aufdecken könnte.

Für jedes Problem gibt es eine Lösung: aber welche?

Seit Jahren verlassen sich Forschende auf eine Mischung von Methoden wie Quanten-Monte-Carlo-Simulationen und Tensornetzwerke (Variationswellenfunktionen), um Lösungen für diese Probleme zu approximieren. Jede Methode hat ihre Stärken und Schwächen, aber es ist schwer zu sagen, welche Methode für welches Problem am besten geeignet ist. Und bis jetzt gab es keine universelle Methode, um ihre Genauigkeit zu vergleichen.

Eine grosse Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter der Leitung von Giuseppe Carleo an der EPFL hat nun einen neuen Massstab, den «V-Score», entwickelt, um dieses Problem anzugehen. Der V-Score («V» für «Variational Accuracy») bietet eine einheitliche Methode, um zu vergleichen, wie gut verschiedene Quantenmethoden bei ein und demselben Problem abschneiden. Der V-Score kann verwendet werden, um die am schwierigsten zu lösenden Quantensysteme zu identifizieren, bei denen die derzeitigen Berechnungsmethoden Schwierigkeiten haben und bei denen zukünftige Methoden – wie z. B. Quantencomputer – einen Vorteil bieten könnten.

Die bahnbrechende Methode wurde in Science veröffentlicht.

Wie der V-Score funktioniert

Der V-Score wird anhand von zwei Schlüsselinformationen berechnet: der Energie eines Quantensystems und der Stärke der Energieschwankungen. Im Idealfall ist die Lösung umso genauer, je niedriger die Energie und je geringer die Schwankungen sind. Der V-Score kombiniert diese beiden Faktoren zu einer einzigen Zahl, so dass es einfacher ist, verschiedene Methoden danach zu bewerten, wie nahe sie der exakten Lösung kommen.

Um den V-Score zu erstellen, hat das Team den bisher umfangreichsten Datensatz von Quanten-Vielteilchenproblemen zusammengestellt. Sie führten Simulationen mit einer Reihe von Quantensystemen durch, von einfachen Teilchenketten bis hin zu komplexen, frustrierten Systemen, die für ihre Schwierigkeit berüchtigt sind. Das Benchmarking zeigte nicht nur, welche Methoden für bestimmte Probleme am besten geeignet sind, sondern auch, in welchen Bereichen die Quanteninformatik den grössten Einfluss haben könnte.

Die Lösung der schwierigsten Quantenprobleme

Beim Testen des V-Scores stellten die Forschenden fest, dass einige Quantensysteme viel einfacher zu lösen sind als andere. So lassen sich eindimensionale Systeme wie Teilchenketten relativ leicht mit bestehenden Methoden wie Tensornetzen lösen. Komplexere, hochdimensionale Systeme, wie frustrierte Quantengitter weisen jedoch deutlich höhere V-Werte auf, was darauf hindeutet, dass diese Probleme mit den heutigen klassischen Berechnungsmethoden viel schwieriger zu lösen sind.

Die Forschenden fanden auch heraus, dass Methoden, die sich auf neuronale Netze und Quantenschaltungen stützen – zwei vielversprechende Techniken für die Zukunft – auch im Vergleich zu etablierten Techniken recht gut abschnitten. Das bedeutet, dass wir mit der Verbesserung der Quantencomputertechnologie möglicherweise in der Lage sein werden, einige der schwierigsten Quantenprobleme zu lösen, die es gibt.

Der V-Score gibt den Forschenden ein leistungsfähiges Instrument an die Hand, um die Fortschritte bei der Lösung von Quantenproblemen zu messen, vor allem, wenn sich die Quanteninformatik weiter entwickelt. Indem er die schwierigsten Probleme und die Grenzen der klassischen Methoden aufzeigt, könnte der V-Score dazu beitragen, künftige Forschungsanstrengungen zu lenken. Branchen, die auf Quantensimulationen angewiesen sind, wie z. B. die Pharmaindustrie oder die Energiewirtschaft, könnten diese Erkenntnisse nutzen, um sich auf Probleme zu konzentrieren, bei denen die Quanteninformatik ihnen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen könnte.

Mehr Informationen

Finanzierung

  • Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF)
  • Simons-Stiftung
  • Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
  • Forschungs- und Innovationsprogramm «Horizont 2020» der Europäischen Union
  • Japanisches Ministerium für Bildung, Kultur, Sport, Wissenschaft und Technologie (MEXT)
  • RIKEN Zentrum für Computational Science
  • Rat für Naturwissenschaften und technische Forschung (NSERC)
  • Shared Hierarchical Academic Research Computing Network (SHARCNET)
  • Rechenzentrum Kanada
  • Kanadisches Institut für fortgeschrittene Forschung (CIFAR)

Liste der Mitwirkenden

  • EPFL Labor für Quantenwissenschaften
  • Universität Sorbonne
  • Universität Zürich
  • Universität von Triest
  • Flatiron-Institut
  • Vektor-Institut
  • Goethe-Universität
  • Collège de France
  • CNRS École Polytechnique
  • Universität Genf
  • Universität von Waterloo
  • Toyota Physikalisch-Chemisches Forschungsinstitut
  • Waseda-Universität
  • Sophia Universität
  • Paul Scherrer Institut (PSI)
  • Universität Zürich
  • IBM Quantum
  • Columbia Universität
  • New Yorker Universität
  • Keio Universität
  • Universität Paris-Saclay
  • Universität Tokio
  • Universität von Kalifornien Irvine
  • Internationale Schule für Höhere Studien (SISSA)
  • Politecnico di Torino
  • Chinesische Akademie der Wissenschaften
  • Max-Planck-Institut
  • Universität der Chinesischen Akademie der Wissenschaften
  • College von William und Mary

Referenzen

Dian Wu, Riccardo Rossi, Filippo Vicentini, Nikita Astrakhantsev, Federico Becca, Xiaodong Cao, Juan Carrasquilla, Francesco Ferrari, Antoine Georges, Mohamed Hibat-Allah, Masatoshi Imada, Andreas M. Läuchli, Guglielmo Mazzola, Antonio Mezzacapo, Andrew Millis, Javier Robledo Moreno, Titus Neupert, Yusuke Nomura, Jannes Nys, Olivier Parcollet, Rico Pohle, Imelda Romero, Michael Schmid, J. Maxwell Silvester, Sandro Sorella, Luca F. Tocchio, Lei Wang, Steven R. White, Alexander Wietek, Qi Yang, Yiqi Yang, Shiwei Zhang, and Giuseppe Carleo, Variational Benchmarks for Quantum Many-Body Problems, Science 17 October 2024