Hitzewellen in Städten erträglicher machen
Aufgrund des Klimawandels werden Hitzewellen immer häufiger, was in den Städten besonders schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, die Lebensgrundlagen und die Infrastruktur hat. Die Veränderung der Bodenbedeckung von natürlichen zu künstlichen Materialien wie Beton und Asphalt führt zu einer erhöhten Energiespeicherung, einer geringeren Wasserverdunstung und einer reduzierten Belüftung. «Mit unserer Arbeit wollen wir dazu beitragen, Lösungen zu finden, um die Lebensqualität der Stadtbevölkerung zu verbessern», sagt João Leitão, Professor an der ETH Zürich und Gruppenleiter in der Abteilung Siedlungswasserwirtschaft der Eawag.
Untersuchungen haben gezeigt, dass eine der besten Methoden zur Kühlung des städtischen Aussenbereichs darin besteht, die Grün- und Wasserflächen zu vergrössern. Doch wie stark lässt sich dadurch die Temperatur an einem bestimmten Standort wirklich senken? Um diese Frage zu beantworten, entwickelten australische Forschende ein Klimamodell mit dem Namen TARGET, abgekürzt für «The Air-temperature Response to Green/blue-infrastructure Evaluation Tool». «Wir haben untersucht, wie gut die Voraussagen von TARGET sind, und ob sich ein solches Instrument für die Stadtplanung eignet», sagt Leitão.
Einfaches, schnelles Modell
Im Gegensatz zu anderen, komplexen numerischen Modellen, die viel Rechenaufwand erfordern, ist TARGET einfach und schnell. Als Input benötigt es allgemeine meteorologische Daten sowie geografische Daten, die angeben, mit welchen Materialien die Stadt bedeckt ist, und wie hoch die Gebäude und wie breit die Strassen sind. Auf der Grundlage dieser Datensätze erstellt TARGET Vorhersagen zur Oberflächen- und Lufttemperatur für die jeweiligen Orte. «Es handelt sich also um ein räumliches Modell», erklärt Jixuan Chen, Doktorandin in der Gruppe von Leitão und Erstautorin der Studie zu TARGET: «Das Modell zeigt, dass beispielsweise die Lufttemperatur an einem bestimmten Ort höher ist, weil es dort mehr Beton gibt, oder dass es in bewaldeten Gebieten kühler ist.»
Um zu testen, wie gut die Voraussagen von TARGET mit der Realität übereinstimmen, wählten die Forschenden Zürich als Fallbeispiel – ein rund 29 km2 grosses Gebiet, das den Stadtkern entlang der Limmat sowie die grossen, begrünten Gebiete Käferberg und Zürichberg umfasst. Die Oberflächen- und Lufttemperaturen wurden für verschiedene Standorte während einer Hitzeperiode im Sommer 2023 berechnet.
Die Resultate der Simulation verglichen die Forschenden mit den Temperaturwerten, die direkt vor Ort gemessen wurden. Sie stützten sich dabei auf Daten des Wetterdienstes Meteoblue, der im untersuchten Gebiet ein Netzwerk von über 40 Stationen besitzt, sowie auf von Privatleuten betriebene Wetterstationen (Netatmo), die auf freiwilliger Basis Aussentemperaturmessungen vornehmen. Das Resultat: «Die TARGET-Simulation stimmt gut überein mit den privaten Wetternetzdaten», fasst Chen zusammen: «Das Modell gibt die Temperaturen korrekt an, es ist also ein zuverlässiges Instrument zur Vorhersage von Oberflächen- und Lufttemperaturen in Städten.»
Lufttemperatur sinkt um 1,2 Grad Celsius
In einem weiteren Schritt untersuchten die Forschenden, wie sich Gebiete mit verschiedenen Anteilen an grün-blauen Flächen temperaturmässig unterscheiden. «Wir wollten wissen, wie sich die Oberflächen- und Lufttemperatur verändert, wenn man unsere Städte grüner macht,» erklärt Leitão. Die Anwendung des Modells auf die Fallstudie Zürich ergab, dass die Lufttemperatur um etwa 1,2 Grad Celsius sinkt, wenn die grün-blauen Flächen von 0 bis 20 % auf 60 bis 80 % vergrössert werden. Um weitere 4 Grad Celsius wird es kühler, wenn der Standort in einen städtischen Wald umgewandelt wird. So war es während der untersuchten Sommertage auf dem Käferberg bis zu 5,2 Grad Celsius weniger heiss als in der Zürcher Innenstadt.
«1,2 Grad Celsius in der Stadt ist nicht viel», gibt Leitão zu: «Dennoch lohnt sich die Umwandlung. Denn zusätzliche grün-blaue Flächen erfüllen noch andere Funktionen oder ökologische Aufgaben.» Sie können auch Regenwasser besser aufnehmen, erhöhen die Artenvielfalt und schaffen Erholungsräume. Möchte man der Hitze noch mehr entgegenwirken, könnte man beispielsweise Windkorridore schaffen, welche die kühlere Luft aus den umliegenden Wäldern ins Stadtzentrum bringen. «Vermutlich liesse sich so ein weiteres Grad Abkühlung erreichen», schätzt Leitão: «Auch das ist nicht enorm, aber all dies kann dazu beitragen, die Lufttemperatur wirklich zu senken.»
Wo Verbesserungen am meisten bewirken
Die Analyse der Studienergebnisse zeigt auch, wie viel Abkühlung man von den verschiedenen Arten grün-blauer Bodenbedeckung an einem bestimmten Standort erwarten kann. So erweisen sich Bäume als etwa doppelt so wirksam wie bewässerter Rasen. Um zu entscheiden, wo ein Eingriff besonders effektiv wäre, berücksichtigten die Forschenden zudem, wie viele Menschen sich jeweils in den verschiedenen Gebieten in Zürich aufhielten, indem sie die Daten von 20 automatischen Stationen der Stadt Zürich nutzten, die alle 15 Minuten die Anzahl der Fussgänger und Velofahrerinnen erfassen.
«Orte mit hohem Fussgänger- und Veloverkehrsaufkommen und geringem Blaugrün-Anteil sollten priorisiert werden», sagt Chen: «Dort wären Verbesserungen besonders wirksam.» In Zürich wären das beispielsweise der Verkehrsknotenpunkt Bucheggplatz oder die besonders belebte Langstrasse. In einer weiteren Studie untersucht Chen nun, wie stark sich dort die Temperatur während einer Hitzewelle senken liesse, indem man die Strassen zuvor mit Wasser besprüht, wie das in Japan bereits gemacht wird.
«Mit Hilfe von TARGET lassen sich verschiedene Planungsszenarien miteinander vergleichen und die Standorte bestimmen, an denen ein Eingriff besonders viel bringt», so das Fazit von Leitão: «Das Instrument eignet sich deshalb gut für die künftige Stadtplanung überall auf der Welt.» Deshalb wird TARGET nun Teil eines Moduls, das in einer Software für geografische Informationssysteme allgemein zugänglich ist (QGIS). Daran arbeiten die Eawag-Forschenden zusammen mit ihren Kollegen und Kolleginnen in Australien, Schweden und Belgien. «Diese Software kann sämtliche Eingabedaten verwalten, sodass Stadtplaner oder Landschaftsarchitektinnen das Modell künftig einfach einsetzen können, um die Lebensqualität in Städten zu steigern», erklärt Leitão.