IMPACT für die Schweizer Gesellschaft
In mehreren ihrer Parameter ist die Protonenbeschleunigeranlage HIPA des PSI Weltspitze. Ihre Protonen werden zu drei PSI-Grossforschungsanlagen geführt, wo an insgesamt rund 30 verschiedenen Experimentierstationen Untersuchungen beispielsweise in den Materialwissenschaften und in der Teilchenphysik stattfinden. Zudem werden die Protonen zur Erzeugung medizinischer Radionuklide genutzt. Das geplante Upgrade-Projekt IMPACT soll bald zwei hochkarätige Erneuerungen bringen.
Die erste betrifft die Myonen, die als eine Sorte Sekundärteilchen durch die Protonen erzeugt werden. Unter dem Namen HIMB sollen zwei Myonen-Strahllinien erneuert werden, sodass die Anzahl der verfügbaren Myonen um den Faktor 100 steigt.
Zweitens ist an einer künftigen Abzweigung des Protonenstrahls der Bau einer neuen Anlage namens TATTOOS geplant, die der Produktion wichtiger Radionuklide dienen wird. Mit diesen lassen sich Radiopharmazeutika herstellen, die zur Diagnose und Behandlung von Krebserkrankungen eingesetzt werden können.
Mit Radiopharmazie gegen Metastasen
Mit diesen beiden Teilen hat IMPACT der Schweizer Gesellschaft einiges zu bieten. Im Falle von TATTOOS ist dies leicht zu zeigen: Schon heute arbeiten Forschende am PSI daran, neue Radionuklide zu entwickeln und diese mit passenden Biomolekülen zu kombinieren, um neue Radiopharmazeutika herzustellen. Deren Nutzen wird an Schweizer Spitälern in frühen klinischen Studien an Patientinnen und Patienten untersucht.
«Radionuklide stehen nicht in Konkurrenz zur externen Strahlentherapie von Krebs», erklärt Cristina Müller, Forscherin am Zentrum für Radiopharmazeutische Wissenschaften des PSI-Zentrum für Life Sciences und zugleich Titularprofessorin an der ETH Zürich. Die externe Strahlentherapie sei bei einem klar lokalisierten Tumor eine etablierte Behandlung. «Unsere Therapie dagegen braucht man, wenn sich der Krebs im Körper ausgebreitet hat. Kurz gesagt: bei Metastasen.»
Abkürzungen
HIPA ist die Protonenbeschleunigeranlage des PSI. HIPA steht für «High Intensity Proton Accelerator» (Hochintensiver Protonenbeschleuniger).
IMPACT ist ein an HIPA geplantes Upgrade, welches für die Forschungsförderungsperiode ab 2025 ansteht. IMPACT bedeutet «Isotope and Muon Production with Advanced Cyclotron and Target Technologies» (Isotopen- und Myonenproduktion mit modernen Zyklotron- und Targettechnologien). IMPACT besteht aus zwei Teilen: HIMB und TATTOOS.
HIMB steht für «High-Intensity Muon Beams» (Hochintensive Myonenstrahlen). HIMB ist ein Gemeinschaftsunterfangen des PSI und der Universität Zürich. Es beinhaltet einen Umbau an der Myonen-Anlage, sodass dort zukünftig bis zu 10 Milliarden Myonen pro Sekunde für die Forschung genutzt werden können.
TATTOOS steht für «Targeted Alpha Tumor Therapy and Other Oncological Solutions» (Gezielte Alpha-Tumor-Therapie und andere onkologische Lösungen). TATTOOS ist eine Zusammenarbeit des PSI, der Universität Zürich und des Universitätsspitals Zürich. Es umfasst eine neue Einrichtung zur Isotopenproduktion, an der Radionuklide für gezielte Krebstherapie und -diagnostik hergestellt und erforscht werden.
Müllers Arbeit ist wegweisend: «Am PSI stellen wir Radionuklide her, die man anderweitig kaum erhalten kann. Allerdings sind wir hier bisher auf einige wenige exotische Radionuklide beschränkt und können diese nur in kleinen Mengen herstellen.»
Die Forschenden am Zentrum für Radiopharmazeutische Wissenschaften arbeiten auch seit über zehn Jahren mit dem CERN zusammen, an dessen Teilchenbeschleunigern das medizinisch interessante Terbium-149 hergestellt wird. Doch dieses Nuklid hat eine recht kurze Halbwertszeit des radioaktiven Zerfalls, sodass allein durch die Fahrzeit von Genf nach Villigen die Menge des raren Stoffs deutlich abnimmt. «Wir hoffen immer, dass es unterwegs keinen Stau gibt – weil wirklich jede Minute zählt», sagt Müller.
Eine einzigartige Produktionsstätte für Radionuklide
Der Wegfall der Fahrtzeit wird der erste grosse Vorteil von TATTOOS sein: einmal über das PSI-Gelände, das sind nur ein paar Minuten. Doch nicht nur das: «Um die volle Bandbreite medizinisch interessanter Radionuklide zu erschliessen, braucht es hochintensive Teilchenstrahlen, die es weltweit nur an einigen wenigen Anlagen gibt», sagt Nick van der Meulen, Leiter der Gruppe für Radionuklidentwicklung am PSI. «Dank HIPA haben wir den intensiven Protonenstrahl und mit TATTOOS werden wir diesen ideal nutzen können.» So soll eine einzigartige Produktionsstätte für eine sehr breite Palette unterschiedlicher Radionuklide entstehen. «Und wir werden insgesamt grössere Mengen herstellen können als jede andere Anlage auf der Welt», so van der Meulen.
Damit planen die PSI-Forschenden mehrere neuartige Radiopharmazeutika zu entwickeln. Zudem wollen sie Nuklid-Sorten mit längerer Halbwertszeit auch an andere Forschungsgruppen in der Schweiz und weltweit liefern. «Für die medizinische Anwendung ist das langfristige Ziel die personalisierte Therapie: Wir wollen eines Tages für jede Krebsart und für jedes Krebsstadium ein passendes Radiopharmakon haben», sagt Müller.
«Langfristig» ist dabei ein wichtiges Stichwort. «Die dank TATTOOS entwickelten Radiopharmaka könnten in rund zehn Jahren den Menschen zunutze kommen», sagt van der Meulen. «Und gerade weil wir um diese Entwicklungszeit wissen, wollen wir jetzt damit beginnen.»
Myonen für Archäologie, Teilchenphysik und Energieforschung
Ähnlich langfristig denken auch Zaher Salman und Lea Caminada. Beide sind Forschende am PSI-Zentrum für Neutronen- und Myonenforschung, arbeiten also mit Teilchen, die kleiner sind als Atome. «Wir nutzen Neutronen und Myonen auf verschiedene Arten», erklärt Salman. Einerseits lassen sich mit den Teilchenstrahlen archäologische Artefakte zerstörungsfrei durchleuchten und untersuchen. «Hier arbeiten wir regelmässig mit Schweizer Museen zusammen.»
Andererseits werden Myonen auch in der Grundlagenforschung eingesetzt: In der Teilchenphysik lassen sich mit ihnen die mathematischen Modelle zur Beschreibung unseres Universums experimentell überprüfen; und in den Materialwissenschaften nutzt man sie, um die fundamentalen Eigenschaften eines Materials zu verstehen. «Die Entwicklung von Festplatten, die heute Terabytes an Informationen speichern können, hat genau so begonnen», sagt Salman. «Entsprechend müssen wir heute die Basis legen für die Technologien, die wiederum in einigen Jahrzehnten Teil unseres Alltags sein werden.»
Hier kommt HIMB ins Spiel. «Der Stand der Technik hat sich so weiterentwickelt, dass wir mit HIMB viel höhere Myonenraten erreichen können», erklärt Lea Caminada, Leiterin der Forschungsgruppe für Hochenergiephysik. «Mit unseren Experimenten werden wir dann in Bereiche vordringen können, die bislang nicht zugänglich waren.»
Ein Nadelöhr sind beispielsweise niederenergetische – also langsame – Myonen. Diese dringen weniger tief in die Probe ein und erlauben es somit gezielt, physikalische Prozesse zu untersuchen, die nahe an der Oberfläche oder in Grenzschichten stattfinden. «Wir schauen uns zum Beispiel Solarzellen an – da passieren die spannenden Prozesse dort, wo das Licht eintrifft», erklärt Salman. Ähnlich verhält es sich bei Lithiumbatterien, wo die entscheidende Physik in sehr dünnen Filmen geschieht. «Solarzellen und Lithiumbatterien sind schon Teil unseres Alltags, aber unsere Forschung kann dazu beitragen, die Effizienz um ein paar entscheidende Prozentpunkte zu steigern.»
Niederenergetische Myonen lassen sich nur sehr schwer erzeugen – sie entstehen jedoch mit einem geringen Anteil an den Myonen-Strahllinien des PSI. «Mit HIMB werden wir die Anzahl der Myonen auf das Hundertfache erhöhen», so Salman, «und damit auch hundert Mal mehr niederenergetische Myonen erhalten.»
Spitzenforschung stösst neue Technologien an
Noch einen Aspekt betont Caminada, die neben ihrer Stelle am PSI auch SNF Eccellenza Professorin an der Universität Zürich ist und zudem am CERN forscht: «Eine neue Forschungsanlage ist nur so gut wie ihre Komponenten.» Der Bau von Teilchenbeschleunigern habe daher schon immer die Entwicklung vieler neuer Technologien vorangetrieben, so Caminada. Sie und ihr Team haben hochkarätige Detektoren entwickelt, die im Large Hadron Collider des CERN zum Einsatz kommen. Aktuell arbeiten sie an Detektoren, die für künftige Experimente mit Myonen eingesetzt werden sollen. «Unsere Detektoren sind auch für Anwendungen in der Archäologie, in den Umweltwissenschaften oder der Medizin interessant», erzählt die Physikerin.
Die Spitzenforschung wird auch weiterhin Entwicklungen anstossen, von denen die Gesellschaft profitiert, ist Caminada überzeugt. «Mit IMPACT werden wir aktiv dazu beitragen.»
Im Dezember 2024 entscheidet das Schweizer Parlament über die Finanzierung der BFI-Botschaft 2025-2028 und damit auch über die Finanzierung des Projects IMPACT.