Lungenkrebs-Resistenz: Der Schlüssel ist Glukose

Lungentumore beherbergen Immunzellen, die ihr Wachstum und ihre Resistenz gegen eine Behandlung beeinflussen. Mit Blick auf die Neutrophilen haben Forschende unter Leitung der EPFL entdeckt, dass der Schlüssel in der Fähigkeit der Zellen liegen könnte, Glukose zu verstoffwechseln, was ein völlig neues Ziel für die Verbesserung der Strahlentherapie eröffnet.
Histologische Färbung eines Lungen-Adenokarzinoms, das sowohl aus Tumorzellen als auch aus Zellen der Immun-Mikroumgebung einschliesslich tumorassoziierter Neutrophiler besteht. Bildrechte: Caroline Contat (EPFL).

Krebserkrankungen bestehen nicht nur aus Tumorzellen. Tatsächlich entwickeln sie während ihres Wachstums ein ganzes zelluläres Ökosystem in und um sie herum. Diese «Tumor-Mikroumgebung» besteht aus verschiedenen Zelltypen, darunter auch Zellen des Immunsystems, wie T-Lymphozyten und Neutrophile.

Die Mikroumgebung des Tumors hat erwartungsgemäss ein grosses Interesse bei Krebsforschenden geweckt, die ständig auf der Suche nach potenziellen therapeutischen Zielen sind. Wenn es um Immunzellen geht, konzentrieren sich die meisten Forschungen auf T-Lymphozyten, die zu den primären Zielen der Krebsimmuntherapie geworden sind – einer Krebstherapie, die das eigene Immunsystem der Patientin oder des Patienten gegen den Tumor richtet.

Aber es gibt noch einen anderen Typ von Immunzellen in der Mikroumgebung des Tumors, dessen Bedeutung bei der Krebsentstehung bisher übersehen wurde: Neutrophile, die Teil der unmittelbaren oder «angeborenen» Immunantwort des Körpers auf Mikroben sind. Die Frage, die derzeit unter Wissenschaftlerinnen diskutiert wird, ist, ob Neutrophile das Wachstum des Tumors fördern oder hemmen.

Nun hat ein Forschendenteam um Etienne Meylan von der EPFL-Fakultät für Life Sciences herausgefunden, dass der Stoffwechsel der Neutrophilen ihr tumorunterstützendes Verhalten bei der Entwicklung von Lungenkrebs bestimmt. Die Studie wurde veröffentlicht in Cancer Research, einer Zeitschrift der Amerikanischen Krebsforschungsgesellschaft.

«Unsere Studie zeigt, dass der veränderte Stoffwechsel der Neutrophilen bei Krebs eine neue Achillesferse sein könnte, die bei zukünftigen Behandlungsstrategien zu berücksichtigen ist.»      Etienne Meylan

Was die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler faszinierte, war, dass der Zellstoffwechsel bei Krebs dereguliert wird. Da sie Fachleute für Neutrophile sind, dachten sie an die Möglichkeit, dass sich der Stoffwechsel dieser Zellen, wenn sie sich in der Mikroumgebung des Tumors aufhalten, ebenfalls verändern könnte, was wiederum Auswirkungen darauf haben könnte, wie sie zum Wachstum des Krebses beitragen.

Die Forschenden konzentrierten sich auf den Glukosestoffwechsel in einem genetisch veränderten Mausmodell des Lungenadenokarzinoms, isolierten tumorassoziierte Neutrophile (TANs) und verglichen sie mit Neutrophilen aus der gesunden Lunge.

Das Ergebnis war überraschend: Die TANs nehmen Glukose viel effizienter auf und verstoffwechseln sie als Neutrophile aus der gesunden Lunge. Die Forschenden fanden auch heraus, dass TANs eine höhere Menge eines Proteins namens Glut1 exprimieren, das auf der Zelloberfläche sitzt und eine erhöhte Glukoseaufnahme und -verwertung ermöglicht.

«Um die Bedeutung von Glut1 in Neutrophilen während der Lungentumorentwicklung in vivo zu verstehen, haben wir ein ausgeklügeltes System verwendet, um Glut1 spezifisch aus Neutrophilen zu entfernen», sagt Pierre-Benoit Ancey, Erstautor der Studie. «Mit diesem Ansatz haben wir herausgefunden, dass Glut1 essentiell ist, um die Lebensdauer von Neutrophilen in Tumoren zu verlängern. In Abwesenheit von Glut1 fanden wir jüngere TANs in der Mikroumgebung.»

Unter Verwendung von Röntgenmikrotomographie zur Überwachung von Adenokarzinomen fanden die Forschenden heraus, dass das Entfernen von Glut1 aus TANs zu einer geringeren Tumorwachstumsrate führte, aber auch die Wirksamkeit von Strahlentherapie, einer gängigen Behandlung für Lungenkrebs, erhöhte. Mit anderen Worten: Die Fähigkeit der TANs, Glukose effizient zu verstoffwechseln, scheint den Tumor mit der Fähigkeit auszustatten, einer Behandlung zu widerstehen – zumindest bei Lungenkrebs.

Tumor-assoziierte Neutrophile nehmen Glukose auf, dargestellt durch den Donut. Dies ermöglihct es den Neutrophilen, in Lungentumoren älter zu werden und tumorunterstützend zu wirken. Bildrechte: Liloon (Julie de Meyer)

Da der Verlust von Glut1 die Lebensspanne der TANs verringert, denken die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass ihr «Alter» bestimmt, ob sie eine Pro- oder Anti-Tumor-Rolle spielen. «Normalerweise wissen wir nicht, wie wir Neutrophile angreifen können, weil sie so wichtig für die angeborene Immunität sind», sagt Etienne Meylan. «Unsere Studie zeigt, dass ihr veränderter Stoffwechsel bei Krebs eine neue Achillesferse sein könnte, die wir bei zukünftigen Behandlungsstrategien berücksichtigen müssen. Zweifellos stehen wir erst am Anfang, was diese faszinierenden Zellen bei Krebs angeht.»

Mehr Informationen

Andere Mitwirkende

  • Schweizer Krebszentrum Léman
  • Universitätsklinikum Lausanne (CHUV)
  • Universität Lausanne (UniL)
  • Schweizerisches Institut für Bioinformatik
  • Universität von Iowa
  • Medizinisches Zentrum der Duke Universität
  • Vanderbilt Universität Medizinisches Zentrum

Finanzierung

  • Schweizerische Stiftung für Krebsforschung
  • Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der Wissenschaft
  • Emma Muschamp Stiftung
  • US Nationales Krebsinstitut

Referenzen

Pierre-Benoit Ancey, Caroline Contat, Gael Boivin, Silvia Sabatino, Justine Pascual, Nadine Zangger, Jean Yannis Perentes, Solange Peters, E. Dale Abel, David G. Kirsch, Jeffrey C. Rathmell, Marie-Catherine Vozenin, Etienne Meylan. Die Die Expression von Glut1 in tumorassoziierten Neutrophilen fördert das Wachstum von Lungenkrebs und die Resistenz gegenüber Strahlentherapie. Cancer Research 22. März 2021. DOI: 10.1158/0008-5472.CAN-20-2870