Wie das Gehirn einer Fruchtfliege komplexe Verhaltensweisen koordiniert

Forschende der EPFL haben herausgefunden, wie Netzwerke von Neuronen in Fruchtfliegen einfache Gehirnsignale in koordinierte Aktionen umwandeln. Dies wirft ein Licht auf die neuronalen Mechanismen, die komplexen Verhaltensweisen zugrunde liegen und in der Robotik Anwendung finden könnten.
Reverse-Engineering des Fruchtfliegengehirns. Bildrechte: EPFL Neuroengineering Laboratory und FlyWire

Zu verstehen, wie Lebewesen, einschliesslich Menschen, Gehirnsignale in koordinierte Bewegungen umsetzen, ist eine grundlegende Frage der Neurowissenschaften. Im Allgemeinen sendet das Gehirn über «absteigende Neuronen» (DNs) Bewegungsanweisungen an den Körper, um sowohl einfache Reflexe als auch komplexe Verhaltensweisen zu steuern.

Doch die schiere Anzahl der DNs sowie ihre komplizierten Verbindungen bedeuten, dass ihre Untersuchung bei grösseren Tieren eine Herausforderung darstellen kann. Eine Maus hat beispielsweise etwa 70 000 DNs, während das menschliche Gehirn über eine Million hat.

Die Fruchtfliege Drosophila melanogaster mit ihrem relativ einfachen Nervensystem ist ein überschaubares Modell. Sie hat etwa 1300 DNs und kann dennoch komplexe Verhaltensweisen wie Gehen, Fliegen, Boxen und Balzen ausführen. Diese Einfachheit in Verbindung mit fortschrittlichen genetischen Werkzeugen macht Drosophila zum idealen Modell für die Untersuchung der neuronalen Verhaltensgrundlagen.

Ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter der Leitung von Pavan Ramdya an der EPFL hat nun herausgefunden, wie DNs in Drosophila komplexe Verhaltensweisen orchestrieren. Insbesondere konzentrierten sie sich auf «befehlsähnliche» DNs, die Untergruppe der absteigenden Neuronen, von denen frühere Studien gezeigt haben, dass sie ausreichen, um komplette Verhaltensweisen zu steuern – bei der Fruchtfliege steuern sie das Vorwärtsgehen, die Flucht, die Eiablage und Teile des «Balztanzes» des Insekts.

Die Studie zeigt, dass befehlsähnliche DNs nicht allein agieren, sondern zusätzliche Netzwerke von DNs rekrutieren, was neue Erkenntnisse darüber liefert, wie einfache Gehirnbefehle koordinierte Handlungen hervorbringen können.

Die Forschung wurde von Jonas Braun und Femke Hurtak in Ramdyas Gruppe geleitet und in Nature veröffentlicht.

«Dieses Modell kann als Inspiration für die Entwicklung besserer Robotersteuerungen dienen und sogar zum Verständnis menschlicher Bewegungsstörungen beitragen.»     

Die Forschenden setzten Optogenetik ein, eine Technik, die Licht zur Steuerung von Neuronen verwendet, um bestimmte Gruppen von befehlsähnlichen DNs in Fliegen zu aktivieren. Sie konzentrierten sich dabei auf drei Arten von DNs, die das Vorwärtslaufen, das Putzen der Antennen bzw. das Rückwärtslaufen steuern. Indem sie die Aktivität anderer DNs im Gehirn während dieser Aktivierungen aufzeichneten, beobachteten sie, wie diese anfänglichen Signale zusätzliche Neuronen rekrutierten.

Um die Konnektivität zwischen diesen Neuronen besser zu verstehen, analysierte das Team das Konnektom des Gehirns der Fruchtfliege – ein Diagramm, das die synaptischen Verbindungen zwischen Neuronen beschreibt. Indem sie die Verbindungen aufzeichneten, konnten sie feststellen, wie befehlsähnliche DNs mit anderen DNs interagieren.

Dieser Ansatz zeigte, dass befehlsähnliche DNs nicht isoliert agieren, sondern stattdessen direkte erregende Verbindungen mit anderen DNs bilden, wodurch effektiv Netzwerke entstehen, die zusammenarbeiten, um komplexe Verhaltensweisen zu erzeugen. So rekrutiert beispielsweise die DN, die für das Vorwärtslaufen verantwortlich ist, ein grösseres Netzwerk von DN als diejenigen, die einfachere Verhaltensweisen wie das Putzen steuern. Diese Netzwerke sind verhaltensspezifisch, wobei verschiedene Neuronengruppen für verschiedene Aktionen aktiviert werden.

Die Forschenden führten auch Experimente an kopflosen Fliegen durch, um die Rolle dieser Netzwerke zu isolieren. Sie fanden heraus, dass bestimmte Verhaltensweisen, wie das Rückwärtslaufen, auch ohne Netzwerke ausgeführt werden können, während komplexere Verhaltensweisen, wie das Vorwärtslaufen und die Fellpflege, das gesamte Netzwerk der DNs im Gehirn erfordern.

Diese Forschung schafft einen neuen Rahmen für das Verständnis, wie Gehirnsignale in Handlungen umgesetzt werden: Anstatt dass einzelne Neuronen als einfache Kommandozentralen fungieren, werden die meisten Verhaltensweisen hauptsächlich durch die Handlungen grösserer Netzwerke orchestriert. Dieses Modell kann die Entwicklung besserer Robotersteuerungen inspirieren und sogar zu unserem Verständnis menschlicher Bewegungsstörungen beitragen.