Umwelt-DNA verrät heimliche Riffbewohner
Tropische Korallenriffe sind bunt, schön – und artenreich. Besonders gross ist die Fischvielfalt. Forschende schätzen, dass weltweit bis zu 8000 Fischarten in Korallenriffen vorkommen.
Doch weltweit verschwinden Korallenriffe aufgrund der Klimaerwärmung und menschlicher Eingriffe in horrendem Tempo, und nach wie vor ist unklar, wo welche Rifffische vorkommen. Wie viele Arten es insgesamt gibt, ist ebenfalls nicht genau bekannt.
Das hat unter anderem damit zu tun, dass viele Fischarten ein sehr heimliches Leben führen, sich stark ähneln oder teilweise im offenen Meer leben. Solche Arten sind daher nur schwer nachweisbar. Um Fische in einem Gebiet nachzuweisen, war die Biodiversitätsforschung meist auf Sichtbeobachtungen von Taucher:innen oder auf Fangfisch angewiesen.
Umwelt-DNA hilft Arten aufzuspüren
Nun hält in der Ökologie eine neue Methode Einzug, die solche Schwierigkeiten umgeht: Umwelt-DNA (environmental DNA, eDNA). Die Idee dieses neuen Ansatzes ist, dass Lebewesen ihr Erbgut oder Teile davon in der Umwelt hinterlassen.
Die Forschenden müssen dann an einem Ort nur Wasserproben nehmen, die darin enthaltenen DNA-Fragmente isolieren und diese sequenzieren, also die Abfolge der DNA-Bausteine bestimmen. Schliesslich können sie die ermittelten Sequenzen mit Referenzsequenzen vergleichen, die von sicher bestimmten Belegexemplaren stammen – und schon wissen die Biodiversitätsforschenden, ob eine Art am fraglichen Ort vorkommt.
Genau dieses Verfahren hat ein internationales Forschungsteam unter der Federführung von Forschenden der Universität Montpellier (F) und der ETH Zürich nun genutzt, um das Vorkommen von Rifffischen zu untersuchen.
Die Forschenden sammelten in den Jahren 2017 und 2019 an 26 Standorten in fünf tropischen Meeresregionen 226 Wasserproben und analysierten die daraus isolierte DNA, die sie dann den bekannten Arten oder Familien zuordneten.
Vielfältiger als vermutet
Auf diese Weise fanden die Forschenden eine um 16 Prozent höhere Vielfalt an Rifffischen als durch konventionelle Erhebungsmethoden wie Sichtbeobachtungen bei Tauchgängen. «Dank der eDNA-Methode können wir viele Fischarten und -familien viel schneller nachweisen als mittels Beobachtungen», betont Loïc Pellissier, Professor für Ökosysteme und Landschaftsevolution der ETH Zürich und einer der beiden Hauptautoren einer Studie. Diese wurde soeben in der Fachzeitschrift «The Proceedings of the Royal Society» veröffentlicht.
So waren die DNA-Analysen nach nur zwei Jahren abgeschlossen. Die Sichtbeobachtungen, die in die Studie einflossen, stammen jedoch von unzähligen Beobachter:innen und umfassen 13 Jahre Bestandserhebungen.
Visual observations are (still) necessary
Mit dem neuen Ansatz entdeckten die Forschenden insbesondere mehr im Freiwasser schwimmende (pelagische), riffgebundene und Arten, welche die zahlreichen Höhlen und Spalten von Riffen bewohnen (kryptobenthische). Taucher:innen bekommen solche Fische seltener zu Gesicht.
Viele der nachgewiesenen pelagischen Arten bevorzugen das offene Meer oder tiefere Gewässer – oder sie gehören zu Familien, welche Menschen meiden oder nicht permanent in Korallenriffen leben, wie Makrelen und Thunfische aus der Familie Scombridae sowie Haie aus der Familie der Carcharhinidae (Requiemhaie, etwa der Schwarzspitzen-Riffhai).
Die Entdeckung dieser Arten ist wichtig, da sie durch ihre nächtlichen Wanderungen zum Riff aktiv an der Funktion eines Korallenriffs beteiligt sind. Die Rolle dieser Fische für das Ökosystem wird deshalb oft unterschätzt.
Ohne Sichtbeobachtungen geht es (noch) nicht
Allerdings lassen sich mittels eDNA nicht alle Arten gleich einfach erfassen, wie beispielsweise Lippfische Labridae oder Schleimfische Blenniidae. Referenzdatenbanken decken diese artenreichen Familien nur teilweise ab, erklärt Pellissier. Aufgrund dieser Lücken konnte ein erheblicher Teil der in den Wasserproben gefundenen eDNA bisher nicht zugeordnet werden.
Die Forschenden sind jedoch mit Hochdruck daran, den eDNA-Ansatz weiterzuentwickeln, die DNA von weiteren Fischarten zu sequenzieren und die Daten in die Referenzdatenbanken einzuspeisen. Dennoch wird es weiterhin Tauchgänge brauchen, um gewisse Arten, die mittels eDNA nur schlecht entdeckt werden können, zu erfassen, aber auch, um biometrische Informationen wie Grösse und Biomasse zu erheben.
Korallen-Dreieck ist aussergewöhnlich vielfältig
In ihrer aktuellen Studie bestätigten die Forschenden frühere Erkenntnisse, wonach sich die Artenzusammensetzungen zwischen den biogeografischen Meeresregionen stark unterscheiden. Besonders hoch ist die Fischvielfalt im sogenannten Korallen-Dreieck zwischen Borneo, Papua Neuguinea und den Philippinen. Hier leben bis zu fünfmal mehr Fischarten und -familien als in der Karibik. Insbesondere Pflanzenfresser, darunter auch korallenverzehrende Arten, sind im Korallen-Dreieck besonders zahlreich.
Das hat laut Pellissier damit zu tun, dass dieses Gebiet in der Erdgeschichte tektonisch sehr aktiv war (und noch immer ist) und sich viele verschiedene Lebensräume herausbildeten. Auch war die Oberflächentemperatur dieses Meeresgebiets während der Eiszeiten stabiler, weshalb sich eine besonders hohe Vielfalt entwickeln konnte.
Die Karibik hingegen war dem Regime der Eiszeiten stärker unterworfen. In Kaltzeiten schrumpften die dortigen Korallenriffe und die Fischbestände. Zudem bildete sich vor über 2,7 Millionen Jahren die Landenge von Panama, was unter anderem die Meeresströmungen in der Karibik veränderte. Beide Ereignisse führten zu grösseren Aussterbewellen.