Brüchige Betonwände: Empa-Forscher finden Ursache
«Unsere Häuser bröckeln!», heisst es auf einem Plakat bei einer Demonstration in Dublin. «100% Wiedergutmachung», steht auf T-Shirts von Teilnehmenden – zu sehen auf einem Foto der Online-Ausgabe der «Irish Times» vom 15. November. Seit Jahren sorgt instabiler Beton in der Grafschaft Donegal für massive Schäden an vielen Häusern, mit denen sich seit April 2016 auch eine Task Force der Regierung befasst. Seit Jahren gibt es Demonstrationen, Streit im Parlament – und die Kosten für Schäden und Entschädigungen dürften sich auf bis zu drei Milliarden Euro belaufen; geschätzt, heutiger Stand.
Die Schlagzeilen zu diesem Fall rücken nun auch Empa-Forschende ins Rampenlicht. Der Grund: Auf einer Fachkonferenz zu diesem heiklen Thema im irischen Letterkenny am 15. November hat Andreas Leemann, Leiter der Forschungsgruppe «Betontechnologie», einen Vortrag gehalten, der für grosse Augen sorgte: Er schilderte Resultate von Analysen zum instabilen Beton, die zusammen mit dem Umweltforscher Paul Dunlop von der «Ulster University» und weiteren Fachleuten durchgeführt wurden – und widersprach einer bis dato weit verbreiteten Vermutung: Ein hoher Anteil des Minerals Glimmer, so die bisherige These, mache den Baustoff, wenn seine Poren mit Wasser gefüllt sind, anfällig für Frostschäden.
Doch nein; die Ursache sehen die Schweizer Fachleute in einem anderen Bestandteil, den die Fachleute in Irland zuvor nicht im Visier hatten: Detaillierte Untersuchungen von Betonproben von vier betroffenen Häusern zeigten, dass ein Mineral namens Pyrrhotin aus Eisen und Schwefel im Baumaterial in grossen Anteilen vorhanden ist – und offenbar eine verhängnisvolle Kaskade auslöst.
Wenn Pyrrhotin im Zementstein des Betons durch anwesenden Sauerstoff oxidiert wird, setzt dies Schwefel frei, der wiederum zur Bildung von Ettringit führt. Dieses Mineral entsteht zwar ohnehin bei der Erhärtung von Zement – doch die zusätzliche Ettringit-Bildung führt zu einer Ausdehnung, die schliesslich Risse im Beton verursacht.
Wird weiterer Schwefel freigesetzt, bildet sich das Mineral Thaumasit. Dieser Prozess reduziert die Festigkeit des Betons, indem wichtige Bestandteile wie Calciumsilikathydrate auflöst werden, und kann letztlich in einem Zerfall des Baustoffs resultieren.
Detektivische Forschungsarbeit
Um die Schadensmechanismen im Inneren dieses speziellen Betons aufklären und nachzuweisen zu können, war freilich Detektivarbeit des Empa-Teams nötig – von herkömmlichen Materialtests über aufwändige Rasterelektronenmikroskop- und Röntgenuntersuchungen bis hin zu thermodynamischen Modellierungen. Und zusätzlich Recherchen in meteorologischen Daten, um der gängigen Theorie von Frostschäden durch zu hohen Glimmergehalt auf den Zahn zu fühlen.
Gegen diese Vermutung hatte schon der Augenschein vor Ort gesprochen. Typische Risse durch Kälteeinfluss verlaufen parallel zu den Wänden, während sie hier nur senkrecht in die Wände hinein verliefen – oft vom Boden bis hinauf zum Dach. In manchen Fällen hatten sie sich sogar von oben, wo der Kälteeinfluss geringer ist, nach unten fortgesetzt.
Wie sich zeigte, sprachen auch die meteorologischen Auszeichnungen klar gegen die Ursache Frost. Wetterphasen von der nötigen Kälte und Dauer, die derartige Schäden hätten auslösen können, kamen im atlantisch-geprägten Klima der Region zu selten vor, nämlich nur zwei Mal: ab Mitte Dezember 2009 und ab November 2010. Zudem zeigten sich erste Schäden bereits vor diesen Ereignissen, und bei den betroffenen Häusern ist auch in Sommermonaten eine Aufweitung der Risse festzustellen. Sie können auch Innenwände betreffen, die vor den Elementen geschützt sind.
Fazit: Der Frost spielt keine oder allenfalls eine Nebenrolle bei den Betonschäden.
Grenzwerte in EU-Bauvorschriften überschritten
Doch warum wurde die neue Erklärung durch den Pyrrhotin-Gehalt und seine Folgen zuvor übersehen? Diese Möglichkeit wird laut Andreas Leemann in der betreffenden irischen Bauvorschrift IS 465 schlicht nicht berücksichtigt. Dagegen ist in der entsprechenden EU-Norm EN 12620 vorgeschrieben, dass ein allfälliger Pyrrhotin-Gehalt in den Baustoffen beim Schwefelgehalt berücksichtigt werden muss. «Wir haben den Schwefelgehalt der Gesteinskörnung des Betons in Proben von vier Häusern analysiert», sagte Leemann gegenüber der «Irish Times», «die Werte überschritten den zulässigen EU-Grenzwert um den Faktor 4 bis 7.»
Obwohl die Empa-Fachleute Proben aus nur vier Häusern im Detail untersucht haben, liegt es nahe, dass sich die Resultate verallgemeinern lassen, denn Daten von irischen Ingenieuren aus fast 100 betroffenen Häusern zeigen, dass auch sie beachtliche Mengen an Pyrrhotin enthalten.
Betroffene teils in schwierigen Situationen
Die Einsichten aus der Schweiz haben in Irland bereits ein grosses Echo ausgelöst, wie Berichte im irischen Fernsehen und Radio und in Zeitungen wie der «Irish Times» zeigen. Und das Thema wird auch in Zukunft viel Aufmerksamkeit bekommen, zumal das Empa-Team das Betonproblem in einem Projekt, finanziert vom irischen Staat, gemeinsam mit internationalen Partnern noch vertiefter untersuchen wird. Bei der Fachtagung Mitte November waren auch zwei Betroffene zugegen, die von ihrer Situation berichteten. In der Kritik der Öffentlichkeit steht dabei unter anderem die Tatsache, dass ein Antrag auf staatliche Entschädigungen bisher nur für betroffene Erstwohnsitze möglich ist. Inzwischen wurde indes bekannt, dass die am stärksten betroffenen Hauseigentümer in einem ersten Schritt bis zu 20'000 Euro staatliche Unterstützung erhalten werden, etwa um auszuziehen und eine vorübergehende Bleibe zu finden bzw. um ihren Besitztümer einzulagern.
Über die Zustände für die Betroffenen konnte sich der Empa-Fachmann bei seinen Erkundigungen vor Ort ein Bild machen und diese fotografisch dokumentieren: durchrissene Fassaden, grossflächiger abgeplatzter Putz, komplett zersetzter Beton und schwere Schimmel-Schäden. In einem der Häuser waren sie in Küche und Schlafräumen so ausgeprägt, dass die dreiköpfige Familie seit langem im Wohnzimmer übernachtet – Zustände, die man in Europa nicht erwarten würde. «Diese Menschen», so Leemann, «leben in einer Ruine.»