Ein komplexes Versprechen
Als die Brüder Wright im Jahr 1903 an einem Strand unweit der Kleinstadt Kitty Hawk im US-Bundesstaat North Carolina ihre ersten Flugversuche mit einem steuerbaren Motorfluggerät unternahmen, war noch nicht absehbar, wie sich die Luftfahrt in den folgenden gut 120 Jahren entwickeln würde. Heute ist Fliegen alltäglich, ein umfassendes Netz an Flugrouten umspannt die Erde und beinahe jede Region auf unserem Globus – ob nah oder fern – ist in höchstens ein oder zwei Tagen per Flugzeug erreichbar. Ein Angebot, das den Bedürfnissen vieler Menschen entgegenkommt. Bezifferte der internationale Dachverband der Fluglinien IATA die Passagierzahlen im Jahr 2023 noch auf 4,35 Milliarden, sollen sich diese bis 2050 auf über 10 Milliarden Fluggäste pro Jahr mehr als verdoppeln.
Dass dies nicht ohne Folgen bleibt, liegt auf der Hand. Bedenklich sind vor allem die Auswirkungen auf das Klima, denn bezogen auf die Personenkilometer belastet der Luftverkehr das Klima deutlich stärker als andere Verkehrsmittel. Auf den ersten Blick denkt man dabei vor allem an das Kohlendioxid (CO 2), das Flugzeuge aus ihren Triebwerken ausstossen. Doch wie so oft ist die Sache in Wahrheit komplexer.
Eine Flugreise beginnt mit der Buchung. Schon dabei können klimawirksame Überlegungen eine Rolle spielen: Der Luftverkehr trägt laut der Internationalen Energieagentur (IEA) über drei Prozent zu den globalen CO 2-Emissionen bei, der Anteil am Treibhauseffekt insgesamt ist noch grösser – nicht zuletzt, weil die Atmosphäre in höheren Schichten, wo Flugzeuge fliegen, viel empfindlicher reagiert als am Boden. Wer einmal Economy-Klasse nach New York und zurück fliegt, emittiert damit rechnerisch an die drei Tonnen CO 2 – in der Businessclass wegen des entsprechend höheren Platzbedarfs etwa das Doppelte und in der First Class das Dreifache. Drei Tonnen sind schon ein Viertel der durchschnittlichen Emissionen, die ein Schweizer oder eine Schweizerin sonst im ganzen Jahr verursachen. Dabei nutzen Bürgerinnen und Bürger unseres Landes besonders häufig den Flieger: Im Schnitt 1,6 Mal pro Kopf und Jahr. Das ist doppelt bis dreimal so häufig wie die Menschen in unseren Nachbarländern Deutschland, Österreich, Frankreich und Italien.
Viele Airlines bieten deshalb «grüne» Buchungsoptionen an: So lassen sich zum Beispiel bei einem Flug nach New York durch einen Zuschlag von 90 Franken auf das 800-Franken-Ticket die verursachten CO 2-Emissionen ausgleichen. 80 Prozent des Extrageldes, so versprechen einige Airlines, sollen in Klimaschutzprojekte investiert werden, 20 Prozent in den Kauf von sogenanntem Sustainable Aviation Fuel (SAF). Das ist nachhaltiges Kerosin, welches ohne Erdöl hergestellt wird.
Ist damit alles gut? Liesse sich das Fliegen also durch Kompensationszahlungen in dieser Grössenordnung klimaneutral organisieren?
«Leider nicht», sagt Thomas J. Schmidt, Leiter des Center for Energy and Environmental Sciences am PSI. Eine Studie des PSI und der ETH Zürich im vergangenen Jahr hat es deutlich gemacht: Eine klimaneutrale Luftfahrt ist demnach zwar möglich – erfordert aber weit mehr als solch überschaubare Preisaufschläge zur Finanzierung von Klimaschutz und SAF. «Und da geht es nicht nur um höhere Preise», so Schmidt.
Hohe Ambitionen
Die Luftfahrtbranche hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 ihren CO 2-Ausstoss auf Netto-Null zu reduzieren und Klimaneutralität zu erreichen. Damit folgt sie dem gleichlautenden Ziel, das die EU 2021 und die Schweiz per Volksentscheid 2023 beschlossen haben: Bis 2050 will man insgesamt klimaneutral werden, um der Erderwärmung effektiv entgegenzuwirken. Die grosse Frage ist, ob und wie das funktionieren kann. Insbesondere in der Luftfahrt, da Flugzeuge enorm viel Energie zum Fliegen sowie eine komplexe Infrastruktur und Logistik im Hintergrund benötigen.
Genau dieser Frage sind Romain Sacchi und Christian Bauer vom Energy Systems Analysis Lab des PSI sowie Viola Becattini und Marco Mazzotti vom Institut für Verfahrenstechnik der ETH Zürich gemeinsam nachgegangen. Sie haben Daten und Prognosen zu allen Aspekten gesammelt und verschiedene Szenarien der Entwicklung bis 2050 durchgerechnet.
«Eine wichtige Frage dabei ist, was eigentlich genau mit Netto-Null-CO 2 beziehungsweise Klimaneutralität gemeint ist», sagt Romain Sacchi, neben Viola Becattini Erstautor der Studie. Viele Bilanzen betrachten nämlich nur die CO 2-Emissionen des Fliegens selbst. «Das greift aber viel zu kurz», ergänzt Becattini. Wenn der Flugverkehr weiterhin wächst wie bisher, dann machen die reinen CO 2-Emissionen der Flüge laut den Berechnungen bis 2050 tatsächlich nur etwa 20 Prozent des gesamten Klimaeffekts aus. Wer den gesamten Flugbetrieb klimaneutral gestalten will, muss neben dem Fliegen auch die Produktion des Treibstoffs und die gesamte Luftfahrtinfrastruktur betrachten – vor allem aber auch andere Emissionen der Flugzeuge, die sich auf das Klima auswirken.
Die andere Hälfte der Wahrheit
Bei einer Flugreise ist es ja nicht mit dem Fliegen allein getan. Wie eine Reise mit dem Auto Strassen, Tankstellen und Parkplätze notwendig macht, braucht auch das Flugzeug eine gewisse Infrastruktur – und dazu noch eine komplexe Logistik, um die Flugzeuge, Mannschaften und Gäste zu versorgen und alle zusammen möglichst pünktlich abheben zu lassen. Kerosin, Gepäck, Catering – all das muss transportiert, Flugzeuge müssen instand gehalten, Terminals, Hangars und andere Betriebsgebäude gereinigt, geheizt und beleuchtet werden. Auch das verursacht Treibhausgasemissionen.
Zürich, der grösste Flughafen der Schweiz, wickelte 2023 nach eigenen Angaben knapp 250 000 Flüge ab, wobei 380 000 Tonnen Fracht und 29 Millionen Passagiere befördert wurden. 27 000 Menschen arbeiten an diesem Ort. Der Gesamtenergieverbrauch ist vergleichbar mit dem einer mittelgrossen Stadt. In der Schweiz, wo Strom vor allem mit Wasser- und Kernkraft und zu nicht einmal zwei Prozent noch mit fossilen Energieträgern erzeugt wird, trübt das weniger als in anderen Ländern die CO 2-Bilanz. Dennoch setzt auch die Stromproduktion CO 2 frei. Zudem müssen in die Klimabilanz natürlich die Emissionen einkalkuliert werden, die beim Bau des Ganzen samt den Flugzeugen frei wurden.
Die Studie von PSI und ETH allerdings zeigt, dass der Klimaeffekt durch die Fluginfrastruktur zwar eingerechnet werden muss, insgesamt jedoch – vor allem über die Zeit bis 2050 und darüber hinaus – relativ gering ausfällt. Die Klimaeffekte des Fliegens selbst und der Emissionen durch die Herstellung des Treibstoffes sind weitaus grösser. Das veranschaulicht die CO 2-Bilanz des Flughafens Zürich für 2021: Die Emissionen des Flughafenbetriebs lagen bei gut 30 000 Tonnen, die der Flüge und anliefernden Zufahrten dagegen bei 1,6 Millionen Tonnen.
Noch relevanter für das Klima – dies hat die Studie klarer als je zuvor gezeigt – sind die sogenannten Nicht-CO2-Effekte beim Fliegen. Gemeint sind damit die bei der Verbrennung des Kerosins frei werdenden Russ- und andere Partikel, die als Kondensationskeime für Wolken dienen. Ausserdem gehören Stickoxide dazu, die in der Luft die Bildung von Ozon fördern, das in der Troposphäre als Treibhausgas wirkt. Und schliesslich zählen noch Wasserdampf und die daraus resultierenden Kondensstreifen hierzu, welche die Bildung von Zirruswolken in der oberen Atmosphäre in rund zehn Kilometern Höhe beeinflussen können.
Diese aus Eispartikeln bestehenden Schleierwolken haben nicht etwa einen kühlenden Effekt auf die Erdoberfläche wie die tieferen Schicht- und Haufenwolken, die das einfallende Sonnenlicht reflektieren. «Stattdessen sind sie für das Sonnenlicht recht transparent », sagt Benjamin Tobias Brem, der am Labor für Atmosphärenchemie des PSI Center for Energy and Environmental Sciences die Umweltfolgen der Luftfahrtemissionen erforscht. «Die von der Erdoberfläche kommende Infrarotstrahlung dagegen wirft die Eispartikel sehr effektiv zurück zur Erde und bewirkt dadurch eine zusätzliche Erwärmung.» Der wärmende Effekt ist von der geografischen Breite und Höhe der Wolken abhängig. In unseren Breiten tritt dieser Effekt etwa ab sechs Kilometern Höhe ein – also in den Sphären, wo die grossen Langstreckenflugzeuge verkehren, die den Grossteil der Flugemissionen weltweit ausmachen.
«Insgesamt machen diese Nicht-CO 2-Faktoren mehr als die Hälfte des Klimaeffekts beim Fliegen aus», sagt Christian Bauer. «Sie werden bislang in vielen Analysen und ‹Net Zero›-Versprechen jedoch ausser Acht gelassen. Oder nicht korrekt berechnet.»
Bisherige Bilanzen waren unpräzise
Üblich ist es, solche Emissionen und Effekte in CO 2- Äquivalente umzurechnen, um sie in die Bilanz einzubeziehen. «Doch die bisher dazu verwendeten Methoden und Werte haben sich als unzutreffend erwiesen», sagt Marco Mazzotti. «Wir sind deshalb präziser vorgegangen. » Die von den Forschenden verwendeten Verfahren berücksichtigen vor allem einen wesentlichen Unterschied zwischen den verschiedenen Faktoren: Die Nicht-CO 2-Effekte sind viel kurzlebiger als CO 2, sie werden daher auch «Short Lived Climate Forcers», kurz SLCF genannt – also «kurzlebige Klimatreiber». Während von dem emittierten CO 2 etwa die Hälfte von Wäldern und Ozeanen absorbiert wird, bleibt die andere Hälfte für Tausende von Jahren in der Luft, verteilt sich und wirkt als Treibhausgas. Dagegen ist beispielsweise Ozon im Vergleich zu CO 2 zwar um ein Vielfaches klimawirksamer, baut sich aber binnen weniger Monate ab. Kondensstreifen und daraus resultierende Wolken verflüchtigen sich gar in wenigen Stunden. «Das Problem ist, dass wir durch den zunehmenden Flugverkehr ständig mehr SLCF produzieren, sodass sie sich summieren, anstatt schnell wieder zu verschwinden. Dadurch entfalten sie ihr gewaltiges Treibhauspotenzial auch über längere Zeiträume», sagt Viola Becattini. Das sei wie in einer Badewanne, bei der sowohl der Abfluss als auch der Wasserhahn geöffnet ist: Solange der Wasserhahn mehr Wasser reinlässt, als durch den Abfluss entweichen kann, wird die Wanne immer voller – und irgendwann läuft sie über.
Die Forschenden haben nun in ihren Szenarien Möglichkeiten betrachtet, um den Wasserhahn bis 2050 zumindest so weit zuzudrehen, dass er nur noch so viel reinlässt, wie durch den Abfluss rausläuft. Die Luftfahrt dürfte insgesamt nicht mehr CO 2-Äquivalente emittieren, als der Atmosphäre an anderer Stelle wieder entzogen wird. Erst dann wäre das Fliegen tatsächlich klimaneutral. Dazu zählt ausdrücklich auch das Abscheiden von CO 2 aus der Luft, das anschliessend im Boden verpresst wird, wo es klimaunschädlich lagert wie einst das Erdöl, bevor wir es hervorholten. Solche sogenannten Carbon- Capture- and Storage-Verfahren (CCS) sind bereits in Gebrauch und gelten insbesondere dort, wo sich gewisse CO 2-Emissionen nicht vermeiden lassen, als Möglichkeit. Ihre langfristige Wirkung und Unbedenklichkeit muss diese Technik allerdings erst noch beweisen.
Der Antrieb ist der naheliegendste Hebel, um die Klimabilanz des Fliegens zu verbessern. Forschende rund um den Globus arbeiten an der Entwicklung von elektrisch und per Wasserstoff angetriebenen Flugzeugen. Wenn man den Strom zum Laden von Batterien beziehungsweise zur Herstellung von Wasserstoff aus Wasser-, Wind- oder Solarkraft gewinnt, wären solche Antriebe klimaneutral. Das setzt dann aber auch voraus, dass alle vorgelagerten Produktionsprozesse – beispielsweise die Herstellung von Akkus – mithilfe erneuerbarer Energie abgewickelt wurden.
Doch selbst wenn das so wäre, bleiben noch unüberwindbare technische Hürden: Batterien erreichen heute eine Energiedichte von 250 Wattstunden pro Kilogramm. Kerosin liefert 12000 – das bedeutet beinahe Faktor 50. Man müsste für den Langstreckenflug einer grossen Maschine wie bei einer New- York-Reise derzeit also so viele vollgeladene Batterien mitnehmen, dass das Flugzeug zu schwer wäre, um abzuheben. Und selbst mit Fortschritten in der Batterietechnik wird sich das absehbar nicht hinreichend bessern. Einstweilen können daher allenfalls Kleinflugzeuge auf Kurzstrecken batterieelektrisch fliegen. Die machen jedoch weniger als zwei Prozent der Treibhausgasemissionen in der Luftfahrt aus.
Ähnlich sieht es beim Wasserstoff aus: Selbst in seiner tiefgekühlten kompakten flüssigen Form nimmt Wasserstoff pro Wattstunde, die er liefert, viermal so viel Volumen ein wie Kerosin. Die Flugzeuge müssten zwar nicht mehr Gewicht tragen, aber mehr Volumen für den Treibstoff bereitstellen, und Volumen ist bei der Konstruktion von Flugzeugen eine kritische Grösse. Es wird intensiv daran geforscht, wie Flugzeuge und die Zulieferkette für Wasserstoff optimal gestaltet werden müssten. Aber das ist eben der Haken: Der Umgestaltungsaufwand für Flugzeuge wie Infrastruktur ist immens – und beansprucht Zeit. Einige Hersteller wie Airbus haben angekündigt, frühestens 2035 die ersten Wasserstoffflugzeuge in Dienst zu stellen.
Doch auch die werden nicht allzu gross sein (bis etwa 90 Sitzplätze) und nicht für die Langstrecke taugen, sondern eher für innerkontinentale Flüge. Die angepeilte Reichweite liegt bei rund 2000 Kilometern. Bis New York kommt man damit nicht. Den Hauptteil der Treibhausgasemissionen in der Luftfahrt machen jedoch grosse Flugzeuge auf der Langstrecke über 4000 Kilometer aus. Der Hoffnungsträger ist daher das bereits erwähnte Sustainable Aviation Fuel).
Dreifach teurere Flugtickets
Der umfassende Einsatz von SAF kann uns einer klimaneutralen Luftfahrt bis 2050 sicher deutlich näherbringen, kostet aber mehr Ressourcen und Geld, vor allem weil die Produktion von Wasserstoff per Elektrolyse sehr energieaufwendig ist.
Was uns zu den Kompensationszahlungen zurückbringt. Die Forschenden von PSI und ETH haben auch das durchkalkuliert: «Ein paar Euro Aufschlag sind reine Augenwischerei», sagt Christian Bauer. «Um die tatsächliche Klimawirkung einer Flugreise umfassend auszugleichen, müsste ein Ticket stattdessen etwa das Dreifache kosten.» Für den New- York-Flug hätten wir dann nicht 890 Franken statt 800 bezahlt. Sondern 2400.
«Eine derart heftige Preissteigerung hätte gleichzeitig den Vorteil, dass dadurch sicherlich die Nachfrage nach Flügen deutlich sänke», sagt Viola Becattini. Darin nämlich liegt die wichtigste Botschaft ihrer Studie: So vielversprechend der Einsatz von SAF, alternative Antriebe und mögliche Effizienzgewinne in Herstellung, Logistik und Transport auch sind – bis ganz ans Ziel werden sie uns laut den berechneten Szenarien alle nicht bringen. Zumindest nicht bis 2050. Denn dazu müssten wir zu grosse Mengen verbleibender Emissionen durch CCS ausgleichen, also aus der Luft einfangen und im Boden speichern. «Dafür reichen die weltweiten Kapazitäten dieser Methode nicht aus», sagt Bauer. Zumal sie natürlich nicht nur der Luftfahrt vorbehalten seien und im grossen Massstab noch wenig erprobt sind.
Fazit: Letztlich müssen wir weniger statt mehr fliegen – anders geht es nicht. Sacchi und Becattini haben auch berechnet, wie viel weniger: Im Zusammenspiel mit gesteigerter Effizienz und CCS im Rahmen des Machbaren müsste der Flugverkehr sich jedes Jahr um 0,2 Prozent verringern, sodass er 2050 nur noch rund 95 Prozent des heutigen Aufkommens beträgt. Blieben wir bei fossilem Kerosin, müssten wir uns viermal so stark einschränken – auf 80 Prozent.
«Wie wir es hinbekommen, die Flugzahlen im nötigen Mass zu regulieren, ist eine Frage, die Gesellschaft und Politik beantworten müssen», sagt Thomas J. Schmidt. «Da braucht es sicher Verhaltensänderungen. Doch die lassen sich nicht leicht verordnen. Wahrscheinlich geht die Zahl der Flüge nur dann spürbar runter, wenn es wirklich teurer wird.»