«Wir arbeiten an Themen, die für die Menschen relevant sind»
Der Bundesrat hat den Biologen Rolf Holderegger zum Direktor der WSL gewählt, seit Oktober 2024 ist er im Amt. Im Interview geht er auf knappe Finanzen und die neue Strategie der WSL ein und betont, wie wichtig es ist, dass Forschungsresultate auch umgesetzt werden.
Rolf Holderegger, Sie kehren als ehemaliges Mitglied der Direktion in die Führungsetage der WSL zurück. Was hat Sie bewogen, sich auf dieses Amt zu bewerben?
Meine Überzeugung ist, dass die WSL eine wichtige gesellschaftliche Rolle in der Schweiz und darüber hinaus spielt. Wir arbeiten an Themen, die für die Menschen relevant sind. Das ist ein grosses Privileg und meine Hauptmotivation, warum ich mich beworben habe.
Sie sind seit 100 Tagen im Amt. Womit haben Sie sich als Erstes beschäftigt?
In Zeiten von knappen Finanzen ist ein ausgeglichenes Budget ein zentraler Punkt. Daneben ist mir die Balance zwischen Forschung und der Umsetzung der Forschungsergebnisse für praktische Anwendungen sehr wichtig. An der WSL braucht es beides.
Wie kann dieser Spagat gelingen?
Ich finde, er gelingt uns jetzt schon sehr gut, weil unsere Forschenden auch stark in der Umsetzung ihrer Forschungsergebnisse sind. Wir koppeln die Forschung in unseren Kernthemen Wald, Biodiversität, Landschaft, Naturgefahren sowie Schnee und Eis mit Arbeiten für Praktikerinnen und Praktiker, mit Lösungen für die Politik und schliesslich für die breite Öffentlichkeit. Diese Kombination macht den Erfolg der WSL aus. Und das gilt es zu erhalten und zu stärken.
Wie wollen Sie das konkret fördern?
Partizipative Ansätze, bei der Forschungsfragen zusammen mit verschiedenen Fachleuten in der Praxis aufgestellt werden, gewinnen mehr und mehr an Bedeutung. So können wir sicherstellen, dass unsere Forschung für die Praxis, die Politik und die Gesellschaft relevant ist. Ich werde sicher das eine oder andere in die Wege leiten, damit die WSL vermehrt auf diese Art arbeitet. Diesen Ansatz haben wir auch in unser neuen WSL-Strategie 2035 festgehalten, die wir 2023 erarbeitet haben.
Wie wird diese Strategie angesichts der knappen Finanzen nun umgesetzt?
Das ist nicht ganz einfach. Die Strategie hilft uns beim Setzen von Prioritäten. Dazu gehört etwa, dass wir jene Probleme angehen, die im Moment am drängendsten sind. Die neue Strategie ist für mich ein grosser Wurf, da sie innerhalb der WSL partizipativ entstand; alle, die wollten, durften mitarbeiten. Entlang dieser Strategie können wir die WSL weiterentwickeln.
Die Strategie ist etwas Längerfristiges. Wie stellen Sie sicher, dass die WSL schnell auf die Aktualität reagieren kann?
Mit unserer Forschungsinitiative zur Trockenheit 2018 haben wir gezeigt, dass wir als WSL sehr agil sind. Wir haben praktisch in Echtzeit Forschung initiiert, während draussen in der Natur die ersten Folgen des ausbleibenden Regens sichtbar wurden. Doch schnell reagieren, heisst nicht, dass immer neue Forschung nötig ist. Manchmal ist es sinnvoller, das vorhandene Wissen zu bündeln aufzuarbeiten und mit klaren Schlussfolgerungen und Lösungsansätzen an die Praxis, Politik und Öffentlichkeit zu tragen.
Wird sich die WSL denn nun stärker in der Politik bemerkbar machen?
Ich möchte es anders formulieren: Die Lösungen und Handlungsspielräume, die die WSL anbietet, sollten vermehrt auch in der Politik zur Kenntnis genommen und hoffentlich auch umgesetzt werden.
Wie kann das gelingen?
Indem wir auf die Bedürfnisse der Gesellschaft rasch reagieren und unsere Lösungen in einem zeitlichen Rahmen zur Verfügung stellen, der nützlich ist. Wenn wir acht Jahre an einer Fragestellung forschen und erst danach mit einer möglichen Lösung kommen, ist der Zug abgefahren. Manchmal braucht es neue Forschung, aber nicht immer.
Können Sie so ein Thema nennen, das derzeit gerade aktuell ist?
Ein Beispiel ist das Wassermanagement auf Landschaftsebene, das wir angehen müssen. Wir haben Extreme, mit denen wir umgehen müssen, also Trockenheit auf der einen und Hochwasser auf der anderen Seite. Diese sind etwa für die Land- und die Forstwirtschaft, aber auch für Siedlungen grosse Herausforderungen. Hingegen gehören Moore zu den am stärksten bedrohten Lebensräumen in der Schweiz. Gezielte Massnahmen zur Wiederherstellung von Mooren helfen nicht nur der Biodiversität, sondern ein intaktes Moor hält Wasser zurück und gibt dieses langsam wieder in die Landschaft ab. Moore können also die Extreme puffern.
Wir müssen Probleme also vermehrt sektorübergreifend angehen?
Ich glaube, das hängt stark vom Thema ab. Es wird auch in Zukunft sehr eng gefasste Fragen geben, die ein Sektor allein beantworten kann. Aber die wirklich grossen Herausforderungen werden wir sektorübergreifend behandeln müssen, da sie auch ökonomische und gesellschaftliche Auswirkungen haben. Ein Beispiel ist die Zukunft unserer Städte: Einerseits wird verdichtet gebaut, andererseits soll eine lebenswerte Wohnumgebung erhalten bleiben, die Erholung bietet, die Biodiversität fördert, den Einfluss der Sommerhitze mildert, und Wasser zurückhält oder versickern lässt. Die neue WSL Strategie nennt urbane Räume als ein wichtiges Thema der WSL.
Welche weiteren Herausforderungen sehen Sie sonst noch in der nahen Zukunft?
Wir werden den Austausch mit verschiedenen, für die Umsetzung unserer Forschungsergebnisse wichtigen Partnern intensivieren. Dazu müssen wir vermehrt mit Berufsverbänden, kantonalen Verwaltungen, nationalen Ämtern, aber auch der Politik in Kontakt treten. So wissen wir besser, wo der Schuh drückt, und können im Sinne der Früherkennung mit unserer Forschung rechtzeitig reagieren.
Berufliche Stationen von Rolf Holderegger
Rolf Holderegger studierte Biologie an der Universität Zürich, wo er 1997 promovierte. Nach einem Postdoc an der University of St Andrews in Schottland, Anstellungen als Gymnasiallehrer sowie als Berater im Bereich Naturschutz, nahm er 2001 eine Stelle als stellvertretender Leiter der Sektion Ökologische Genetik an der WSL an. 2006 wurde Rolf Holderegger zum Leiter der Forschungseinheit ökologische Genetik und Evolution an der WSL befördert und 2009 zum Titularprofessor am Departement für Umweltsystemwissenschaften der ETH Zürich ernannt. Von 2011 bis 2024 leitete er die Forschungseinheit Biodiversität und Naturschutzbiologie der WSL und war von 2011 bis 2023 Mitglied der Direktion der WSL. Nach dem überraschenden Tod des damaligen WSL-Direktors 2020, amtierte er etwas mehr als ein Jahr als stellvertretender Direktor. Ein besonderes Anliegen ist ihm die Umsetzung, zum Beispiel das Synthesezentrum Biodiversität, das eine Brücke zwischen Forschung und Anwendung baut und das er seit 2023 leitet.