Warum es unumgänglich sein wird, Mietobjekte zu verkleinern
Die Diplomarbeit von Margarita Agriantoni, Studentin des Bauingenieurwesens, basiert auf Computersimulationen verschiedener Wohnszenarien für die nächsten 30 Jahre (von 2020 bis 2050). Ihre Ergebnisse sind eine deutliche Warnung an die Eigentümerinnen und Mietenden von Wohnungen: Wenn wir den Energieverbrauch von Wohnungen in der Schweiz deutlich senken wollen, muss die gesamte Branche ihre Praktiken überdenken, von der Art und Weise, wie Wohnungen geplant und gebaut werden, bis hin zur Art und Weise, wie sie genutzt werden.
Rund 58 % der Schweizer Haushalte wohnen zur Miete. Die durchschnittliche Wohnfläche dieser Wohnungen ist in den letzten Jahren stetig gestiegen, ebenso wie die Wohnfläche pro Kopf – eine Kennzahl, die direkt mit dem ökologischen Fussabdruck eines Gebäudes korreliert. So wird heute eine 100 m2 grosse Wohnung gleich gebaut oder beheizt, ob sie für zwei oder vier Personen gedacht ist. «Die Wohnfläche pro Kopf ist die Kennzahl, die wir langfristig reduzieren müssen, um zu einem nachhaltigeren Wohnen zu kommen», sagt Agriantoni, «aber der Trend geht heute eher in die andere Richtung. Das ist besonders problematisch in einem Land wie der Schweiz, in dem sowohl die Bevölkerung als auch die Nachfrage nach Wohnraum stetig wachsen, Wohnungen aber immer schwieriger zu finden sind.»
Agriantonis Arbeit wurde von Prof. Philippe Thalmann am Labor für Stadt- und Umweltökonomie (LEURE) der EPFL innerhalb der Fakultät für Architektur, Bau- und Umweltingenieurwesen (ENAC) betreut und ist Teil eines vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanzierten interdisziplinären Projekts. Das Projekt stützt sich auch auf Forschungsarbeiten des EPFL-Labors für Mensch-Umwelt-Beziehungen in urbanen Systemen (HERUS) (siehe EPFL-News vom 9. September 2021) und des Lehrstuhls für Umweltsystemdesign (ESD) der ETH Zürich.
11 000 Wohnungen auf dem Prüfstand
Agriantoni und ihr Team haben ein Modell für die Entwicklung von Wohnungen entwickelt, das sowohl technische als auch soziologische Faktoren einbezieht. Es stützt sich auf Daten von 11 000 Wohnungen in Gebäuden der ganzen Schweiz. Bei den Gebäuden handelt es sich um eine Mischung aus Privatwohnungen, die dem Schweizer Versicherer Die Mobiliar gehören, und Wohnungen, die zwei Wohnungsbaugenossenschaften gehören: ABZ in Zürich und SCHL in Lausanne (Société Coopérative d'Habitation). Diese Mischung ist ein wichtiges Merkmal ihrer Forschung, da die beiden Eigentümerkategorien ihre Wohnungen auf unterschiedliche Weise bauen und verwalten.
Der erste Schritt bei der Entwicklung des Modells, das später auch in anderen europäischen Städten eingesetzt werden könnte, bestand darin, eine Datenbank mit detaillierten Informationen über die Immobilien zu erstellen, z. B. über den Grundstückspreis, die Fläche, die erhobenen Mieten und die durchgeführten Renovierungsarbeiten. Dieser Schritt nahm ein Jahr in Anspruch: «Ich traf mich mehrmals mit den Immobilieneigentümern, um ihre Investitionsstrategien und Verwaltungsprozesse zu verstehen», sagt Agriantoni. Der nächste Schritt bestand darin, Informationen über die Mietenden zu sammeln. Zu diesem Zweck wurde eine Mieterbefragung durchgeführt, bei der 1000 Haushalte einen Fragebogen beantworteten, in dem sie Angaben zu ihrer Haushaltszusammensetzung und -grösse sowie zur Zufriedenheit mit ihrer derzeitigen Wohnung machten. Ziel war es, ein besseres Bild davon zu bekommen, wer in den Wohnungen wohnt und wie sie den Raum nutzen.
Die Forschenden nutzten die Daten aus diesen beiden Schritten, um ein dynamisches, agentenbasiertes Modell zu erstellen, das so weit wie möglich den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht. Agriantoni simulierte mit dem Modell eine Reihe von Szenarien, die unterschiedliche Entscheidungen von Eigentümerinnen und Eigentümern sowie Mietenden in den nächsten 30 Jahren widerspiegeln: «Wir haben zunächst ein Basisszenario entwickelt, das besagt, dass die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf bis 2050 um 11 % zunehmen wird», erklärt Agriantoni.
Zusätzlich zum Basisszenario hat sie vier weitere Szenarien durchgespielt, um herauszufinden, ob sich der Trend bei der Flächennutzung durch die Anpassung einiger Variablen umkehren lässt. Im ersten Szenario führen Immobilieneignerinnen und -eigner strengere Regeln für die Anzahl der Mietenden ein. Im zweiten Szenario konzentrieren sich die Bauträger auf die Renovierung und Nutzung bestehender Gebäude, anstatt neue Gebäude zu errichten. Das dritte Szenario ist eine Kombination aus den ersten beiden. Und im vierten Szenario werden die Mietenden allmählich sensibler für Umweltfragen und ergreifen daher die Initiative, in kleineren Wohnungen zu leben. Das dritte Szenario erwies sich als am wirkungsvollsten, aber bei jedem dieser Szenarien nahm die Wohnfläche pro Kopf im Laufe der Zeit zu, wenn auch langsamer als beim Basisszenario.
Breiteres Bewusstsein für Umweltverantwortung
Was bedeutet das alles für die Erreichung unserer Nachhaltigkeitsziele? «Es bedarf gemeinsamer Anstrengungen von Immobilieneignerinnen und -eignern sowie Mietenden», sagt Agriantoni, «das Umweltbewusstsein der Mietenden zu stärken ist entscheidend, aber in der Praxis nicht so einfach. Die Menschen dazu zu bringen, sich für Wohnungen zu entscheiden, die besser an die Grösse ihrer Familie angepasst sind, ohne dabei ihre Lebensqualität einzuschränken, ist ebenso wichtig wie sie zu ermutigen, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren, anstatt mit dem Auto». «Eine Verringerung der Fläche um nur wenige Quadratmeter kann eine echte Wirkung haben», fügt sie hinzu, «aber auch die Gesellschaft als Ganzes muss ihr Wertesystem überdenken, nach dem grösser automatisch als besser gilt.»