Was verbirgt sich hinter den durch COVID-19 ausgelösten Entzündungen?
Während die COVID-19-Pandemie weiter wütet, untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in aller Welt die Pathologie des SARS-CoV-2-Virus, um wirksame Behandlungen für Erkrankte zu finden. In diesem Zusammenhang haben die Gruppen von Andrea Ablasser an der EPFL und Michel Gilliet am CHUV einen Signalweg entdeckt, der an den Entzündungen bei COVID-19-Patienten beteiligt ist.
Der cGAS-STING-Signalweg
Der Signalweg wird als cGAS-STING bezeichnet und hat in der Zelle die Aufgabe, fremde DNA, z.B. von Bakterien oder Viren, zu erkennen, die in das Zytosol der Zelle gelangt ist. Beim Zytosol handelt es sich um die Flüssigkeit im Inneren der Zelle, die alle Organellen enthält. Beim Aufspüren fremder DNA löst der cGAS-STING-Signalweg eine Kaskade von molekularen Reaktionen aus, die schliesslich Entzündungsgene aktivieren. Damit sind die Gene aktiv und setzen ihre eigenen Kaskaden in Gang, um die Abwehrmechanismen zur Bekämpfung der Infektion zu aktivieren. Der Signalweg kann jedoch auch auf die zelleigene DNA reagieren – ein Prozess, der im Laufe der Jahre mit verschiedenen Entzündungskrankheiten in Verbindung gebracht wurde.
Ablassers Gruppe beschäftigt sich seit Jahren mit cGAS-STING. Angesichts der Assoziation von Entzündungen mit der Pathogenese von COVID-19 untersuchte das Team die Möglichkeit, dass cGAS-STING an der Pathologie von SARS-CoV-2-Infektionen beteiligt ist. Die Evolution lieferte einen weiteren Hinweis auf eine mögliche Beteiligung von cGAS-STING an COVID-19. «Der cGAS-STING-Signalweg ist bei Fledermäusen beeinträchtigt, eine Anpassung, die erklären könnte, warum diese Tiere resistent gegen Coronavirus-Erkrankungen sind und als Virusreservoir fungieren», sagte Michel Gilliet, Leiter der Abteilung für Dermatologie am CHUV.
Haut, Lunge und Interferone
Die Forschenden an der Abteiling für Dermatologie am CHUV untersuchten Hautgewebe von COVID-19-Patientinnen und -Patienten, da die Krankheit bekanntermassen Hautentzündungen hervorruft. Bei der Erstellung eines Profils der COVID-19-Hautmanifestationen fand das Team eine «STING-abhängige» Freisetzung einer Reihe von Molekülen, die als «Typ-I-Interferone» bezeichnet werden.
Typ-I-Interferone (IFN) sind Proteine, die eine Schlüsselrolle bei Entzündungen und der Immunregulation sowie bei den Reaktionen von Immunzellen wie T-Zellen spielen. Sie sind auch massgeblich an der Pathogenese von COVID-19 beteiligt, bei der hohe Konzentrationen von Typ-I-Interferonen in der Spätphase der Infektion eine abnorme Entzündung verursachen.
Im COVID-19-Hautgewebe wurde festgestellt, dass die Freisetzung von Typ-I-Interferonen hauptsächlich von Makrophagen – einer anderen Art von Immunzellen – erfolgt.
Die Forschenden am CHUV untersuchten zudem Lungenproben von Erkrankten und entdeckten auch dort cGAS-STING-Aktivität. Sie stellten fest, dass mit IFN-Reaktionen vom Typ I eine «deutliche Gewebezerstörung» verbunden ist. Anhand eines Lungen-Chip-Modells fanden die EPFL-Forschenden heraus, dass eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus die cGAS-STING-Signalübertragung in Lungenendothelzellen ebenso aktiviert wie in Makrophagen. Die Reaktion wird hier jedoch durch die Freisetzung der mitochondrialen DNA der Zellen ausgelöst und führt zum Zelltod sowie zur Produktion von Typ-I-Interferonen.
Schliesslich führten die Forschenden eine in-vivo Studie durch, um ihre In-vitro-Ergebnisse zu bestätigen. Sie testeten Mäuse, die mit SARS-CoV-2 infiziert waren und verabreichten Medikamente, die den cGAS-STING-Signalweg blockieren. Infolgedessen zeigten die Mäuse einen Rückgang der schweren Lungenentzündung und einen günstigeren Verlauf der Krankheit.
«Wir haben den cGAS-STING-Stoffwechselweg als kritischen Faktor für die abweichende Typ-I-Interferon-Antwort bei COVID-19 identifiziert», sagte Andrea Ablasser. Michel Gilliet fügte hinzu: «Unsere Studie entschlüsselt neue Prinzipien für die Entwicklung von Therapeutika, die diesen pathologischen Entzündungsprozess bei schweren Erkrankungen gezielt blockieren.»