Defekte in 2D-Kristallen in Flüssigkeit abbilden
Einschichtige Kristalle, die oft auch als 2D-Kristalle oder 2D-Materialien bezeichnet werden, besitzen die einzigartige Eigenschaft, eine einzige Schicht mit regelmässiger atomarer Struktur zu haben. Und je regelmässiger die Struktur ist, desto höher ist die Qualität des Kristalls. In einigen Fällen wiederholt sich die atomare Struktur bis zur Perfektion, aber meistens – wie es in der Natur üblich ist – gibt es einige Makel.
Molybdändisulfid (MoS2), ein schwarzer Kristall, der wie Graphit aussieht, ist ein Beispiel für einen Kristall, der eine solche Schichtstruktur aufweist, in der Defekte vorhanden sein können. «Die Atome im einschichtigen MoS2 sind in drei Schichten angeordnet, wie ein Sandwich – eine untere Schicht aus Schwefelatomen, dann eine Schicht aus Metallatomen und schliesslich eine weitere Schicht aus Schwefelatomen», sagt Aleksandra Radenovic, Leiterin des Laboratory of Nanoscale Biology an der Fakultät für Ingenieurwissenschaft und Technologie der EPFL, «aber manchmal fehlen einige Schwefelatome, was zu Leerstellen in den Kristallen führt. Solche Defekte können auch vorteilhaft sein. Sie katalysieren zum Beispiel die Wasserspaltungsreaktion zur Erzeugung von Wasserstoff oder dienen als Zielstellen in Detektoren für Biomoleküle. Deshalb sind wir an diesen Defekten interessiert, insbesondere an ihrem Verhalten in Flüssigkeit.»
Radenovic hat zusammen mit Postdoc Miao Zhang, Martina Lihter, einer ehemaligen Doktorandin, und weiteren Mitarbeitenden MoS2-Proben untersucht und eine Methode entwickelt, um diese Art von Defekten in Flüssigkeit abzubilden, was zu einem besseren Verständnis der Eigenschaften des Materials führt. Bei der Elektronenmikroskopie, die durch den Einsatz von hochenergetischen Elektronenstrahlen eine direkte Visualisierung der Defekte mit hervorragender Auflösung ermöglicht, ist eine Vakuumumgebung erforderlich. «Messungen in der Flüssigkeit sind immer noch eine Herausforderung», sagt Radenovic. Um die Defektstellen in der Flüssigkeit sichtbar machen zu können, adaptierte das LBEN-Team die Bildgebungsmodalität der optischen Mikroskopie, die als Point Accumulation in Nanoscale Topography, PAINT, bezeichnet wird. Die Arbeit wurde kürzlich in ACS Nano veröffentlicht.
Da der einschichtige MoS2-Kristall nur drei Atomlagen dünn ist, ist er fast durchsichtig, was den Wissenschaftlerinnen erlaubt, ihn durch ein dünnes Glasdeckglas auf einem inversen Mikroskop zu beobachten. «Wir haben unsere Probe in eine wässrige Lösung gelegt, um die Aktivität der Defekte in der flüssigen Umgebung zu untersuchen», so Lihter.
Dann setzten die Wissenschaftlerinnen fluoreszierende Thiol-Sonden ein, die spezifisch an die Schwefel-Leerstellen binden. «Indem wir einen Laserstrahl auf die Probe richten, können wir eine einzelne Sonde, die an einen Defekt gebunden hat, direkt sehen und ihre Position genau lokalisieren», sagt Zhang. Es stellt sich heraus, dass eine solche Bindung unter bestimmten Bedingungen reversibel ist. Indem sie solche zufälligen, vorübergehenden Bindungen an Defekten über einen bestimmten Zeitraum abbildeten, konnten die Wissenschaftlerinnen – in Anlehnung an die PAINT-Strategie – die Defekte des Kristalls identifizieren und zählen und seine Unvollkommenheiten quantifizieren, und das alles in einem relativ grossen Massstab. «Auf diese Weise konnten wir auch beobachten, wie die Defekte mit ihrer Umgebung interagieren», so Zhang.
Ändern der Eigenschaften eines Materials
Die Schwefel-Leerstellen haben zur Folge, dass sich die Eigenschaften des Materials verändern. MoS2 ist ein halbleitendes Material, das zur Herstellung von Chips für elektronische Geräte verwendet wird. Bei den Experimenten von Radenovics Team ging es daher nicht nur darum, Defekte abzubilden, sondern auch das Verhalten des Materials beim Ausheilen der Defekte zu untersuchen: «Eine unregelmässige atomare Struktur verändert die Art und Weise, wie sich Elektronen in einem Material bewegen und die Ladungsträgerbeweglichkeit des Materials», sagt Radenovic, «das verändert folglich seine Eigenschaften.»
Während sich die Wissenschaftlerinnen für diese Studie auf MoS2 konzentrierten, ist ihre Methode auch auf andere Materialien der gleichen Familie (Übergangsmetall-Dichalcogenid) anwendbar, die eine Sandwich-Atomstruktur aufweisen.