Einzigartiges Mikrobiom auf den Gipfeln von Gletschern entdeckt

Zwei von der EPFL geleitete Studien, die in «Nature» und «Nature Microbiology» veröffentlicht wurden, beleuchten die Einzigartigkeit, die Komplexität und die klimabedingte Anfälligkeit des Mikrobioms der weltweiten Gletscherflüsse.
Bild aufgenommen in Ecuador, während der Probenahme am 27. Februar 2020. © NOMIS-Feldteam

Die Bäche, die die Gletscher auf den Berggipfeln unseres Planeten entwässern, beherbergen eine Fülle einzigartiger Mikroorganismen, doch bis vor kurzem war wenig über diese komplexen Ökosysteme bekannt. Ein Team von Forschenden unter Leitung der EPFL hat in einer beispiellosen Studie das Mikrobiom dieser von Gletschern gespeisten Bäche unter die Lupe genommen. Mit Hilfe von Bergführern und Trägern sammelten und analysierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mehr als fünf Jahre lang Proben von 170 gletschergespeisten Bächen in Neuseeland, im Himalaya, im russischen Kaukasus, im Tien Shan- und Pamir-Gebirge, in den europäischen Alpen, in Skandinavien, in Grönland, in Alaska, im Rwenzori-Gebirge in Uganda sowie in den Anden von Ecuador und Chile.

Die Forschung wurde von Tom Battin, Professor für Umweltwissenschaften und Leiter des RIVER-Labors der EPFL, im Rahmen des von der NOMIS-Stiftung finanzierten Projekts «Vanishing Glaciers» geleitet. Die wichtigsten Ergebnisse der Wissenschaftler wurden am 1. und 2. Januar 2025 in Nature und Nature Microbiology veröffentlicht.

Ein mikrobieller Atlas

Von Gletschern gespeiste Bäche sind die extremsten Süsswasser-Ökosysteme der Welt, und sie haben alle so ziemlich die gleichen Merkmale: Temperaturen nahe dem Nullpunkt, niedrige Nährstoffkonzentrationen, fast kein Sonnenlicht im Winter und starke UV-Strahlung im Sommer. «Angesichts der extremen Bedingungen in von Gletschern gespeisten Bächen haben wir erwartet, dass die mikrobielle Vielfalt insgesamt gering ist und sich von einem Gebirgszug zum nächsten kaum verändert», sagt Leïla Ezzat, Postdoc und Hauptautorin des Nature-Artikels, «aber unsere Analysen haben das Gegenteil bewiesen – es gibt eine bemerkenswerte mikrobielle Artenvielfalt und Biogeografie in den von Gletschern gespeisten Bächen der Welt.»

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nutzten ihre Erkenntnisse, um den ersten globalen Atlas der Mikroben in von Gletschern gespeisten Bächen zusammenzustellen. Sie entdeckten ein einzigartiges Mikrobiom in diesen Umgebungen – eines, das sich deutlich von anderen kryosphärischen Systemen unterscheidet. Interessanterweise stellten sie fest, dass fast die Hälfte der Bakterien in einer bestimmten Gebirgskette endemisch ist. Dies war besonders in Neuseeland und Ecuador der Fall – Regionen, die bereits für ihre grosse Vielfalt an endemischen Pflanzen und Tieren bekannt sind. Die Wissenschaftler führen dies auf die geografische Isolation von Bergen – ähnlich wie bei Inseln – und auf die natürliche Auslese zurück, die in extremen Umgebungen wie gletschergespeisten Bächen besonders stark ist. Der Nature-Artikel gibt auch Einblicke in die Strategien, die es Bakterien ermöglichen, sich in einem der extremsten Ökosysteme der Erde zu entwickeln.

Erstaunlich komplex

In dem Artikel in Nature Microbiology berichten die Wissenschaftlerinnen über ihre Analyse von Tausenden von Genomen von Bakterien, Archaeen, Pilzen, Algen und Viren, die in von Gletschern gespeisten Bächen leben. Es ist faszinierend zu sehen, welch breite Palette von Anpassungsstrategien die Mikroorganismen entwickelt haben, um in dieser extremen Umgebung zu überleben», sagt Grégoire Michoud, der Hauptautor des Artikels. Diese Mikroorganismen haben sich beispielsweise so entwickelt, dass sie eine Vielzahl von Stoffen verstoffwechseln können – organischen Kohlenstoff, Sonnenenergie, Mineralien und wahrscheinlich sogar Gase –, so dass sie Energie aus vielen verschiedenen, schwankenden Quellen beziehen können.

Eine Biobank im Wallis

Beide Artikel wurden Anfang 2025 veröffentlicht, das von den Vereinten Nationen zum Internationalen Jahr der Erhaltung der Gletscher erklärt wurde. Unsere Gletscher zu erhalten, bedeutet auch, die von Gletschern gespeisten Bäche und ihr Mikrobiom zu schützen – eine dringende Aufgabe angesichts der Geschwindigkeit, mit der das Eis schmilzt, aber auch eine machbare: «Nachdem ich die letzten Jahre auf den Berggipfeln der Erde verbracht habe, kann ich sagen, dass wir mit dem Schwinden der Gletscher eindeutig ein einzigartiges Mikrobiom verlieren», sagt Battin. Dies hat ihn dazu veranlasst, die Einrichtung einer Biobank zu fordern, um dieses und andere verschwindende Mikrobiome für künftige Forschendengenerationen und für die Biotechnologie der nächsten Generation zu sichern. Er hofft, dass ein solcher «Tresor» im Wallis eingerichtet wird: «Angesichts der Kompetenzen des Zentrums für alpine und polare Umweltforschung (ALPOLE) der EPFL im Wallis scheint dies ein logischer Ort für die Biobank zu sein», sagt Battin.