Blitze und ihre Facetten besser verstehen

EPFL-Forschende haben zum ersten Mal Röntgenstrahlen aufgezeichnet, die am Anfang von aufwärtsgerichteten positiven Blitzen entstehen. Diese Beobachtung gibt wichtige Aufschlüsse über die Entstehung dieser seltenen – und besonders gefährlichen – Form von Blitzen.
Der Säntisturm im Nordosten der Schweiz © EMC EPFL CC BY SA

Weltweit sind Blitze jedes Jahr für über 4000 Todesfälle und Schäden in Milliardenhöhe verantwortlich; in der Schweiz selbst gibt es jährlich bis zu 150 000 Einschläge. Um das Risiko zu verringern, ist es wichtig, genau zu verstehen, wie Blitze entstehen. Da Blitzphänomene jedoch in Zeiträumen von weniger als einer Millisekunde auftreten, sind direkte Messungen extrem schwierig zu erhalten.

Nun haben Forschende des Labors für elektromagnetische Kompatibilität unter der Leitung von Farhad Rachidi an der EPFL-Fakultät für Ingenieurwissenschaften und Technologie zum ersten Mal ein schwer fassbares Phänomen direkt gemessen, das viel über die Entstehung eines Blitzes erklärt: Röntgenstrahlung. In einer gemeinsamen Studie mit der Fachhochschule Westschweiz und der Universität Uppsala in Schweden zeichneten sie Blitzeinschläge auf dem Säntisturm in der Nordostschweiz auf und identifizierten Röntgenstrahlen, die mit dem Beginn von aufwärtsgerichteten positiven Blitzen verbunden sind. Diese Blitze beginnen mit negativ geladenen Ranken (Leitern), die schrittweise von einem hoch gelegenen Objekt aufsteigen, bevor sie sich mit einer Gewitterwolke verbinden und positive Ladung auf den Boden übertragen.

«Auf Meereshöhe sind Aufwärtsblitze selten, könnten aber in grossen Höhen zur dominierenden Art werden. Sie haben auch das Potenzial, mehr Schaden anzurichten, denn bei einem Aufwärtsblitz bleibt der Blitz länger in Kontakt mit einer Struktur als bei einem Abwärtsblitz, so dass er mehr Zeit hat, elektrische Ladung zu übertragen», erklärt Toma Oregel-Chaumont, Doktorand im Labor für elektromagnetische Verträglichkeit.

Obwohl Röntgenemissionen bereits bei anderen Arten von Blitzen beobachtet wurden, ist dies das erste Mal, dass sie von aufwärtsgerichteten positiven Blitzen erfasst wurden. Oregel-Chaumont, Erstautor eines kürzlich erschienenen Artikels in Nature Scientific Reports, in dem die Beobachtungen beschrieben werden, sagt, dass sie wertvolle Einblicke in die Entstehung von Blitzen – und insbesondere von Aufwärtsblitzen – bieten.

«Der eigentliche Mechanismus, durch den Blitze entstehen und sich ausbreiten, ist immer noch ein Rätsel. Die Beobachtung von Aufwärtsblitzen von hohen Strukturen wie dem Säntisturm aus ermöglicht es, Röntgenmessungen mit anderen gleichzeitig gemessenen Größssn zu korrelieren, wie etwa Hochgeschwindigkeits-Videobeobachtungen und elektrischen Strömen.»

Eine einzigartige Gelegenheit zur Beobachtung

Es ist vielleicht nicht überraschend, dass die neuartigen Beobachtungen in der Schweiz gemacht wurden, da der Säntisturm einzigartige und ideale Messbedingungen bietet. Der 124 Meter hohe Turm thront auf einem hohen Gipfel der Appenzeller Alpen und ist damit ein ideales Ziel für Blitze. Von den benachbarten Gipfeln ist die Sicht frei, und die weitläufige Forschungsanlage ist vollgepackt mit Hochgeschwindigkeitskameras, Röntgendetektoren, elektrischen Feldsensoren und Strommessgeräten.

Dank der Schnelligkeit und Empfindlichkeit dieser Geräte konnte das Team einen Unterschied zwischen negativen Leitstufen, die Röntgenstrahlen aussenden, und solchen, die dies nicht tun, feststellen, was die Theorie der Blitzentstehung, das so genannte «Cold Runaway»-Elektronenmodell, unterstützt. Kurz gesagt, die Assoziation von Röntgenstrahlen mit sehr schnellen Änderungen des elektrischen Feldes stützt die Theorie, dass ein plötzlicher Anstieg des elektrischen Feldes in der Luft dazu führt, dass die Elektronen aus der Umgebung «weglaufen» und sich in ein Plasma verwandeln: in Blitze.

«Als Physiker möchte ich die Theorie hinter den Beobachtungen verstehen, aber diese Informationen sind auch wichtig, um Blitze aus technischer Sicht zu verstehen: Immer mehr hochgelegene Strukturen, wie Windturbinen und Flugzeuge, werden aus Verbundwerkstoffen gebaut. Diese sind weniger leitfähig als Metalle wie Aluminium und erhitzen sich daher stärker, was sie anfällig für Schäden durch aufsteigende Blitze macht», sagt Oregel-Chaumont.

Die Beobachtungen auf dem Säntis, wo jedes Jahr mehr als 100 Blitze einschlagen, werden fortgesetzt. Als Nächstes planen die Forschenden, das Arsenal des Turms um einen Mikrowellensensor zu erweitern. Dieser könnte dazu beitragen, festzustellen, ob das Modell des kalten Durchgehens auch für abwärts gerichtete Blitze gilt, da Mikrowellen im Gegensatz zu Röntgenstrahlen von den Wolken aus gemessen werden können.