Nanoröhren beleuchten den Weg zur lebendigen Fotovoltaik
«Wir setzen Nanoröhren in Bakterien ein», sagt Professorin Ardemis Boghossian von der EPFL-Fakultät für Grundlagenwissenschaften, «das klingt oberflächlich betrachtet nicht sehr aufregend, ist aber tatsächlich eine grosse Sache. Die Forschenden haben Nanoröhren in Säugetierzellen eingesetzt, die Mechanismen wie Endozytose nutzen, die für diese Art von Zellen spezifisch sind. Bakterien hingegen verfügen nicht über diese Mechanismen und haben zusätzliche Probleme, die Partikel durch ihre zähe Hülle zu bekommen. Trotz dieser Hindernisse haben wir es geschafft, und das hat sehr interessante Auswirkungen auf die Anwendungsmöglichkeiten.»
Boghossians Forschung konzentriert sich darauf, künstliche Nanomaterialien mit biologischen Konstrukten, einschliesslich lebender Zellen, zu verbinden. Die daraus resultierenden «nanobionischen» Technologien vereinen die Vorteile der lebenden und der nicht lebenden Welt. Ihre Gruppe arbeitet seit Jahren an der Anwendung von einwandigen Kohlenstoffnanoröhren (SWCNTs), Röhren aus Kohlenstoffatomen mit faszinierenden mechanischen und optischen Eigenschaften, als Nanomaterial.
Diese Eigenschaften machen SWCNTs ideal für viele neuartige Anwendungen im Bereich der Nanobiotechnologie. So wurden SWCNTs beispielsweise in Säugetierzellen platziert, um deren Stoffwechsel mit Nahinfrarotaufnahmen zu überwachen. Das Einbringen von SWCNTs in Säugetierzellen hat auch zu neuen Technologien geführt, um therapeutische Wirkstoffe an ihre intrazellulären Ziele zu bringen, während sie in Pflanzenzellen für das Genome Editing verwendet wurden. SWCNTs wurden auch in lebende Mäuse implantiert, um ihre Fähigkeit zu demonstrieren, biologisches Gewebe tief im Körperinneren abzubilden.
Fluoreszierende Nanoröhrchen in Bakterien: Eine Premiere
In einem in Nature Nanotechnology veröffentlichten Artikel konnte die Gruppe von Boghossian zusammen mit ihren internationalen Kollegen Bakterien davon «überzeugen», SWCNTs spontan aufzunehmen, indem sie sie mit positiv geladenen Proteinen «dekorierten», die von der negativen Ladung der äusseren Membran der Bakterien angezogen werden. Die beiden in der Studie untersuchten Bakterientypen, Synechocystis und Nostoc, gehören zum Stamm der Cyanobakterien, einer riesigen Gruppe von Bakterien, die ihre Energie – wie Pflanzen – durch Photosynthese gewinnen. Sie sind ebenfalls «gramnegativ», das heisst, ihre Zellwand ist dünn, und sie haben eine zusätzliche äussere Membran, die «grampositiven» Bakterien fehlt.
Die Forschenden beobachteten, dass die Cyanobakterien die SWCNTs durch einen passiven, längenabhängigen und selektiven Prozess internalisierten. Dieser Prozess ermöglichte es den SWCNTs, spontan die Zellwände sowohl der einzelligen Synechocystis als auch der langen, schlangenartigen, vielzelligen Nostoc zu durchdringen.
Nach diesem Erfolg wollte das Team herausfinden, ob die Nanoröhrchen zur Abbildung von Cyanobakterien verwendet werden können – so wie es bei Säugetierzellen der Fall ist: «Wir haben einen speziellen Aufbau gebaut, der es uns ermöglicht, die spezielle Nahinfrarot-Fluoreszenz abzubilden, die wir von unseren Nanoröhrchen im Inneren der Bakterien erhalten», sagt Boghossian.
Alessandra Antonucci, eine ehemalige Doktorandin in Boghossians Labor, fügt hinzu: «Wenn sich die Nanoröhren im Inneren der Bakterien befinden, kann man sie sehr deutlich sehen, obwohl die Bakterien ihr eigenes Licht aussenden. Das liegt daran, dass die Wellenlängen der Nanoröhren weit im roten Bereich liegen, also im nahen Infrarot. Man erhält von den Nanoröhrchen ein sehr klares und stabiles Signal, das man von keinem anderen Nanopartikelsensor erhalten kann. Wir sind begeistert, weil wir mit den Nanoröhrchen jetzt sehen können, was im Inneren von Zellen vor sich geht, die mit herkömmlichen Partikeln oder Proteinen nur schwer abzubilden sind. Die Nanoröhrchen geben ein Licht ab, das kein natürliches lebendes Material abgibt, nicht bei diesen Wellenlängen, und das macht die Nanoröhrchen in diesen Zellen wirklich sichtbar.»
«Vererbte Nanobionik»
Die Wissenschaftlerinnen konnten das Wachstum und die Teilung der Zellen verfolgen, indem sie die Bakterien in Echtzeit beobachteten. Ihre Ergebnisse zeigten, dass die SWCNTs von den Tochterzellen der sich teilenden Mikrobe mitbenutzt werden: «Wenn sich die Bakterien teilen, erben die Tochterzellen die Nanoröhren zusammen mit den Eigenschaften der Nanoröhren», sagt Boghossian. «Wir nennen dies ‹vererbte Nanobionik›. Das ist so, als hätte man eine künstliche Gliedmasse, die einem Fähigkeiten verleiht, die über das hinausgehen, was man auf natürliche Weise erreichen kann. Und nun stellen Sie sich vor, dass Ihre Kinder diese Eigenschaften von Ihnen erben können, wenn sie geboren werden. Wir haben den Bakterien nicht nur dieses künstliche Verhalten verliehen, sondern dieses Verhalten wird auch an ihre Nachkommen vererbt. Das ist unsere erste Demonstration von vererbter Nanobionik.»
Lebendige Fotovoltaik
«Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass die Bakterien, wenn wir die Nanoröhrchen in das Innere der Bakterien bringen, eine signifikante Steigerung der von ihnen produzierten Elektrizität zeigen, wenn sie mit Licht beleuchtet werden», sagt Melania Reggente, Postdoc in Boghossians Gruppe, «und unser Labor arbeitet nun an der Idee, diese nanobionischen Bakterien in einer lebenden Photovoltaik zu verwenden.»
«Lebende» Photovoltaik sind biologische Energieerzeugungsgeräte, die photosynthetische Mikroorganismen nutzen. Diese Geräte befinden sich zwar noch in einem frühen Entwicklungsstadium, stellen aber eine echte Lösung für unsere aktuelle Energiekrise und die Bemühungen gegen den Klimawandel dar.
«Es gibt ein schmutziges Geheimnis in der Photovoltaik-Gemeinschaft», sagt Boghossian, «es handelt sich zwar um grüne Energie, aber der Kohlenstoff-Fussabdruck ist sehr gross; allein bei der Herstellung der meisten Standard-Photovoltaikanlagen wird eine Menge CO2 freigesetzt. Das Schöne an der Photosynthese ist jedoch, dass sie nicht nur die Sonnenenergie nutzt, sondern auch einen negativen CO2-Fussabdruck hat. Anstatt CO2 freizusetzen, absorbiert sie es. Sie löst also zwei Probleme auf einmal: die Umwandlung von Sonnenenergie und die Bindung von CO2. Und diese Solarzellen sind lebendig. Man braucht keine Fabrik, um jede einzelne Bakterienzelle herzustellen; diese Bakterien sind selbstreplizierend. Sie nehmen automatisch CO2 auf, um mehr von sich selbst zu produzieren. Das ist der Traum einer jeden Materialwissenschaftlerin.»
Boghossian stellt sich ein lebendes photovoltaisches Gerät auf der Grundlage von Cyanobakterien vor, das die Stromerzeugung automatisch steuert und nicht von der Zugabe fremder Partikel abhängt: «Engpass bei der Umsetzung sind die Kosten und die Auswirkungen auf die Umwelt, wenn man Nanoröhren in grossem Massstab in Cyanobakterien einbaut.»
Mit Blick auf eine gross angelegte Umsetzung suchen Boghossian und ihr Team in der synthetischen Biologie nach Antworten: «Unser Labor arbeitet jetzt an der Entwicklung von Cyanobakterien, die Strom erzeugen können, ohne dass Nanopartikel hinzugefügt werden müssen. Die Fortschritte in der synthetischen Biologie ermöglichen es uns, diese Zellen so umzuprogrammieren, dass sie sich auf völlig künstliche Weise verhalten. Wir können sie so programmieren, dass die Stromerzeugung buchstäblich in ihrer DNA liegt.»