Landnutzung beeinflusst Lebewesen im Untergrund
Vier Fünftel des Trinkwassers in der Schweiz stammen aus unsichtbaren Wasserreserven im Untergrund. Zahlreiche Grundwasserfassungen zapfen diese Reserven an. Dabei stehen die Trinkwasserversorgungen zusehends unter Druck. «Um die Qualitätskriterien erfüllen zu können, müssen sie teils Brunnen vom Netz nehmen oder Wasser aus belasteten Quellen mit weniger belastetem Wasser mischen», sagt die Gewässerökologin Mara Knüsel, die gerade ihr Doktorat in der Forschungsgruppe von Professor Florian Altermatt am Wasserforschungsinstitut Eawag und der Universität Zürich abschliesst.
Knüsel und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter haben sich in den letzten Jahren intensiv mit kleinen Tieren befasst, die im dunklen und kalten Nass zuhause sind: den Grundwasserflohkrebsen. Sie gleichen winzigen Garnelen und sind – im Unterschied zu den unterschiedlich pigmentierten Bachflohkrebsarten – weiss und blind. Sie haben eine wichtige Rolle für die Funktion von Grundwasserökosystemen.
Weniger Nitrat in von Wald umgebenen Brunnenstuben
In ihrem neuesten, soeben in der Fachzeitschrift Ecological Applications veröffentlichten Beitrag bringen die Forschenden das Vorkommen der Flohkrebse mit der Art der Landnutzung im schweizerischen Mittelland in Zusammenhang: An Wasserfassungen, die mitten im Wald stehen, haben die Forschenden häufig Flohkrebse gefunden. An Wasserfassungen hingegen, die in der Nähe von Äckern stehen, stiessen die Forschenden deutlich seltener auf Flohkrebse. Das Grundwasser dieser ackernahen Brunnen war zudem tendenziell stärker mit Nitrat belastet als bei den von Wald umgebenen Wasserfassungen, was für eine schlechtere Trinkwasserqualität steht.
Allerdings sei es verkürzt, nur aufgrund des Fehlens von Flohkrebsen auf eine schlechtere Wasserqualität zu schliessen, gibt Knüsels Kollege Roman Alther zu bedenken: «Auch die Hydrogeologie spielt eine Rolle» erklärt er. «Faktoren wie die Struktur des lokalen Grundwasserleiters, einschliesslich der Porengrösse und der Wasserchemie, können ebenfalls beeinflussen, ob Amphipoden vorkommen oder nicht.» Die Forschenden betrachten die An- oder Abwesenheit der Tierchen deshalb eher als ergänzenden Indikator. «Als Hinweis, dass an einem bestimmten Standort allenfalls die Biologie beeinträchtigt ist», sagt Alther.
Einfluss von Ackerland noch in 600 bis 1000 Meter Entfernung
In ihren Analysen weisen die Forschenden nach, dass sich die Art der Landnutzung auch noch in einem grösseren Umkreis auf das Vorkommen von Flohkrebsen auswirkt: Im Datensatz hinterlässt auch Ackerland, dass sich in 600 bis 1000 Metern Entfernung von der Wasserfassung befindet, ein negatives Signal im Grundwasser. Jedoch: In der Schweiz schreibt das Gewässerschutzgesetz zwar vor, dass sogenannte Schutzzonen um Wasserfassungen angelegt werden, um das wertvolle Trinkwasser vor Verunreinigungen und anderen schädlichen Einflüssen zu bewahren. Im schweizerischen Mittelland umfassen diese Schutzzonen allerdings ein Gebiet, das sich im Schnitt nur 300 bis 400 Meter um den Fassungsbereich ausdehnt. «Wir kommen zum Schluss, dass die derzeit eingerichteten Schutzzonen vielleicht nicht genügend gross sind, um mögliche negative Auswirkungen der Landnutzung auf die Lebensgemeinschaften im Grundwasser zu verhindern», halten die Forschenden in ihrem Beitrag fest.Einzigartiger Lebensraum
Denn wie die Löwen in der Savanne stehen auch die Flohkrebse im Grundwasser an der Spitze der Nahrungskette. Dadurch beeinflussen sie auch alle anderen Lebewesen auf den niedrigeren Nahrungsstufen. «Die grosse Vielfalt an Lebensformen im Grundwasser ist noch weitgehend unerforscht», sagt Knüsel. Mit ihrem Datensatz zu den Flohkrebsen haben die Forschenden deshalb erst das Fundament gelegt: Ihre Resultate könnten ein Argument für eine allfällige Ausweitung der Grundwasserschutzzonen sein. Doch darüber hinaus liegt ihnen auch viel daran, «in der Bevölkerung das Bewusstsein zu schärfen, dass das Grundwasser nicht nur eine kostbare Trinkwasserressource ist», sagt Alther, «sondern auch ein einzigartiger Lebensraum, den es zu bewahren gilt.»Neues Wissen über Flohkrebse
Die Eawag-Forschenden haben eng mit Brunnenmeisterinnen und -meistern zusammengearbeitet, die für schweizweit über 900 verschiedene Wasserfassungen zuständig sind und «ohne deren Hilfe diese Arbeit nicht zustande gekommen wäre», wie Mara Knüsel betont. Aus der Zusammenarbeit entstand eine systematische Sammlung von Flohkrebsen, worin die Forschenden mithilfe von genetischen Analysen auch mehrere zuvor unbekannte Arten entdeckt haben. Und sie zeichneten nach, wie sich die letzte Eiszeit vor rund 20 000 Jahren auf die Ausbreitung und das heutige Vorkommen der Grundwasserflohkrebse ausgewirkt hat. «Einige Arten finden wir nur an Orten, die nicht vergletschert waren», sagt Knüsel.