Wie sich steigende Baumgrenzen auf Alpenseen auswirken

Ein EPFL-Wissenschaftler hat zusammen mit Kolleginnen und Kollegen von Universitäten aus ganz Europa die erste quantitative Studie über die Veränderungen abgeschlossen, die organische Bodensubstanz aus Wäldern in hoch gelegenen Seen verursachen kann, sobald sie sich im Wasser aufgelöst hat.
Als Folge der globalen Erwärmung steigt die Baumgrenze.© Istock/semak

Als Folge der globalen Erwärmung steigen die Baumgrenzen auf der ganzen Welt. Je nach Region klettern sie zwischen 10 und 100 Meter pro Jahr – und bringen die Wälder immer näher an die hoch gelegenen Seen heran. Dies wird zweifellos Auswirkungen auf beide Ökosysteme haben. Zum ersten Mal hat ein Team von Forschenden einen genauen Blick auf die möglichen Folgen auf molekularer Ebene geworfen. Ihre Ergebnisse, die kürzlich in Nature Communications veröffentlicht wurden, deuten darauf hin, dass der Anstieg der Baumgrenze die gelöste organische Substanz (DOM) in Alpenseen beeinflussen und die biogeochemische Zusammensetzung des Seewassers verändern könnte. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beobachteten insbesondere, dass natürliche Bakterien, die diesem neuen Kohlenstoff ausgesetzt sind, möglicherweise weniger effektiv Biomasse produzieren und damit eine potenzielle Quelle für Treibhausgasemissionen darstellen. Diese Entdeckung ist besonders wichtig, da es Tausende solcher Seen auf unserem Planeten gibt.

Der organische Kohlenstoff im Boden ist unterschiedlich zusammengesetzt, je nachdem, ob er sich in einer alpinen Wiese oder in einem Wald befindet. Bisher waren sich die Wissenschaftlerinnen nicht sicher, wie der in den Böden enthaltene organische Kohlenstoff reagieren würde, wenn er in alpine und subarktische Seen versickert. Diese Seen enthalten bereits geringe Mengen an organischem Kohlenstoff, der eine wichtige Rolle als Ressource für natürliche Bakterien spielt. Doch mit dem Vorrücken der Baumgrenze wird sich die Bodenzusammensetzung in der Umgebung der Seen verändern, und wenn es regnet oder der Schnee schmilzt, wird der im Boden enthaltene organische Kohlenstoff in die Seen getragen. Diesen Prozess hat das Forschungsteam, dem auch Hannes Peter von der EPFL angehört, untersucht. Peter ist Ökologe und Biogeochemiker am Labor für Flussökosysteme (RIVER) der EPFL, das zum ALPOLE-Forschungszentrum für alpine und polare Umwelt in Sitten gehört.

Hochgebirgssee in Österreich: Ort der Feldversuche.© Hannes Peter/ RIVER EPFL

Seen in Nordfinnland und in den österreichischen Alpen

Seebakterien reagieren im Allgemeinen auf zwei Arten auf DOM: Entweder sie ernähren sich davon und wachsen und produzieren die Biomasse, die die Grundlage der Nahrungskette bildet, oder sie verarbeiten es ineffizient und atmen es als CO2 ab. Um diese Mechanismen genauer zu untersuchen, führten die Forschenden Feldversuche an einem hochgelegenen See in Nordfinnland und einem hochgelegenen See in Österreich durch und kombinierten diese mit Laborexperimenten und Analysen.

«Unser Plan war es, Seebakterien mit organischem Kohlenstoff aus verschiedenen Bodentypen in Kontakt zu bringen.»      Hannes Peter, Wissenschaftler am RIVER Lab der EPFL

«Unser Plan war es, Seebakterien organischem Kohlenstoff aus verschiedenen Bodentypen auszusetzen», sagt Peter: «Wir sammelten Wasserproben aus dem See und fügten aus dem Boden stammendes DOM von oberhalb und unterhalb der Baumgrenze hinzu und beobachteten dann die Reaktion der Bakterien. Wir wollten wissen, ob sie mehr Biomasse produzieren oder stattdessen CO2 freisetzen würden. Die Antwort war, dass die Bakterien mehr CO2 freisetzen, wenn sie mit aus dem Boden stammendem DOM von unterhalb der Baumgrenze in Kontakt kommen.»

Wasserproben für das österreichische See-Projekt.© Hannes Peter/RIVER EPFL

Auflösen einzelner Kohlenstoffmoleküle

Für seine Analysen nutzte das Team ein hochentwickeltes, hochpräzises Gerät, das an einer Partneruniversität in Deutschland installiert wurde. Mit diesem Instrument konnten es jedes DOM-Molekül einzeln untersuchen: «Die fortschrittliche Technologie und die Hochleistungssysteme, die heute für die Analyse von Kohlenstoff zur Verfügung stehen, ermöglichen uns einen Blick in die ‹Black Box›», sagt Peter: «Wir haben über 2500 Moleküle im DOM identifiziert und konnten nachvollziehen, welche die Bakterien am schnellsten verstoffwechselt haben. Wir haben auch den gesamten Zersetzungsprozess untersucht. So kamen wir zum Schluss, dass Bakterien in Alpenseen mehr CO2 freisetzen können, wenn die Baumgrenze steigt», erklärt er und fügt hinzu, dass dies erhebliche Folgen haben könnte: «Unsere Studie war nur der erste Schritt. Wir haben nur untersucht, wie effizient die Bakterien mit dem DOM umgehen. Es sind weitere Untersuchungen erforderlich, um festzustellen, wie sich der zusätzliche Kohlenstoff auf die Umwelt auswirken wird. Aber das Faszinierende an Bakterien ist, wie schnell sie sich an veränderte Bedingungen anpassen können.»

Kartierung der alpinen Waldausdehnung in der Schweiz

Eine andere Gruppe von Forschenden des EPFL-Forschungszentrums ALPOLE untersucht ebenfalls die Auswirkungen der Verschiebung von Baumgrenzen. Thien-Anh Nguyen, Doktorandin am Environmental Computational Science and Earth Observation Laboratory (ECEO), und ihre Kollegen haben ein KI-gesteuertes Programm entwickelt, das die Waldausdehnung in den Schweizer Alpen über einen Zeitraum von 80 Jahren kartiert. Das Programm ist als Open Source verfügbar und zeigt deutlich, wie sich die Baumgrenze in den Waadtländer und Walliser Alpen in höhere Lagen verschoben hat. Nguyen und ihre Kollegen trainierten ihre Algorithmen anhand von Tausenden von Fotos, die zwischen 1946 und 2020 aufgenommen und vom Bundesamt für Landestopografie zur Verfügung gestellt wurden. Die Herausforderung bestand darin, die Algorithmen trotz der grossen Bandbreite an Bildqualität und Auflösung des Datensatzes effektiv zu trainieren. Das Programm veranschaulicht, wie schnell sich der Wandel vollzieht, der in erster Linie auf die höheren Temperaturen und die Aufgabe landwirtschaftlicher Nutzflächen zurückzuführen ist, und es wird dazu dienen, die Auswirkungen dieser beiden Faktoren zu quantifizieren. Die Studie von Nguyen ist die erste, die die Entwicklung der alpinen Baumgrenze in einem so grossen Massstab und auf einer so granularen Ebene kartiert.