Von den Wolken bis zu den Fjorden: Die Arktis ist Zeuge des Klimawandels

Der Klimawandel ist in der Arktis besonders intensiv. Um die Folgen abzuschätzen und festzustellen, welche Rolle diese Region bei der globalen Erwärmung spielt, haben zwei Forschendenteams der EPFL das Gebiet besucht. Das eine, um die Zusammensetzung der Luft in der Region besser zu verstehen, das andere, um die Treibhausgase zu quantifizieren, die in den Fjorden Grönlands durch Gletscherwasser gebunden werden.
EPFL-Forschende reisen in die Arktis, um die Folgen des Klimawandels zu messen - 2024 EPFL/SENSE- CC-BY-SA 4.0

Arktische Luft lüftet allmählich ihre Geheimnisse

Die Arktis – eine Region, in der die Temperaturen drei- bis viermal schneller steigen als irgendwo sonst auf der Erde. Gleichzeitig nimmt das «Leben» im Arktischen Ozean zu, was die Produktion von biologischen Aerosolen beeinflusst und sich auf die Wolkenbildung auswirkt. Julia Schmale, Leiterin des Extreme Environments Research Laboratory (EERL) der EPFL, und ihre Forschungsgruppe arbeiten daran, diesen kritischen Prozess zu quantifizieren. Eine Zunahme der Wolken in der Arktis könnte die Region entweder erwärmen oder abkühlen, je nachdem, wie viel Meereis vorhanden ist.

«Wir wissen, dass arktische Wolken im Allgemeinen aus Wassertröpfchen und Eiskristallen bestehen», sagt Schmale, «aber wir wissen noch wenig über ihre genaue Zusammensetzung und wie sie entstehen. Zum Beispiel die Kerne der Wassertröpfchen und Eiskristalle – sind sie Meersalz, organische Partikel, anorganische Partikel oder Mineralstaub? Und vor allem: Wie viel Prozent dieser Kerne stammen aus natürlichen Quellen und wie viel Prozent aus menschlicher Aktivität?»

Unter dem Eis der Zentralarktis gedeiht mikrobisches Leben. © Mario Hoppmann, Central Arctic 2018

Beginn der Antwort

Zwei aktuelle Studien unter der Leitung von Schmales Forschungsgruppe werfen ein Licht auf dieses komplexe und strategisch wichtige Forschungsgebiet. Sie befassten sich speziell mit den natürlichen Aerosolpartikeln, die als Wolkenkeime fungieren, d. h. als die Keime, die die Bildung von Eiskristallen in Wolken ermöglichen. Die erste Studie, die in der Zeitschrift Elementa veröffentlicht wurde, quantifiziert zum ersten Mal die Menge an fluoreszierenden biologischen Aerosolen, die in der arktischen Luft enthalten sind. Bei diesen Aerosolen handelt es sich hauptsächlich um Bakterien und aminosäurehaltige Partikel, die im Meer oder an Land produziert werden. Sie sind sehr effizient bei der Bildung von Eiskristallen: Eis beginnt sich bei -9°C zu bilden, während sich beispielsweise bei Mineralstaub Eis erst bei etwa -20°C bildet.

Die Studie stützt sich auf Daten, die während der MOSAIC-Expedition ein ganzes Jahr lang (zwischen 2019 und 2020) auf einem Eisbrecher gesammelt wurden: «Wir haben mit einem laserbasierten Instrument die Fluoreszenz von Luftpartikeln im Sekundentakt gemessen», sagt Schmale, «Partikel, die fluoreszieren, sind in der Regel biologischen Ursprungs.» Anhand dieser Daten konnten die Forschenden die Konzentration natürlicher biologischer Aerosole in der Luft abschätzen und Hypothesen über deren Herkunft aufstellen.

«Diese Studien zeigen, wie wichtig natürliche Quellen von Aerosolpartikeln für das arktische Klimasystem sind, und lassen vermuten, dass sich diese Quellen in den kommenden Jahrzehnten drastisch verändern werden.»      Julia Schmale

Im Winter zum Beispiel beobachteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler «Ausbrüche» dieser Aerosole, was überraschend war, da der Ozean in dieser Zeit zugefroren ist und es kaum biologische Aktivität gibt. Sie stellten die Hypothese auf, dass die Aerosole z. B. in Wolken aus weit entfernten Gebieten herübergetragen worden waren. Im Juni begann die Konzentration der biologischen Aerosole drastisch anzusteigen – zeitgleich mit einer Spitze der biologischen Aktivität, die durch hohe Chlorophyllwerte im Wasser gemessen wurde.

Auch die Menge der eisbildenden Partikel nahm bei -9°C stark zu. Obwohl kein direkter Zusammenhang nachgewiesen werden konnte, ist dies ein deutlicher Hinweis darauf, dass biologische Partikel aus der Umgebung zu eisbildenden Wolkenkeimen in der zentralen Arktis beitragen. Im Jahresverlauf wurden parallele Prozesse beobachtet: «Interessanterweise verringerte sich die Grösse der fluoreszierenden Aerosole, als die Chlorophyllproduktion im Herbst abnahm und grössere Mikroben im Meerwasser durch kleinere ersetzt wurden», sagt Schmale. «Dies spiegelt einen jahreszeitlich bedingten mikrobiellen Übergang im Meer wieder, der auch in der Luft stattfindet.»

Die MOSAIC-Expedition ermöglichte es dem Schweizer Team des EERL-Labors, wissenschaftliche Geräte in einem Container auf einem Eisbrecher zu transportieren, darunter ein Laserinstrument, das Luftpartikel im Sekundentakt misst. © Michael Gutsche, Zentrale Arktis 2020

Maschinelles Lernen

Die zweite Studie, die in der Fachzeitschrift Climate and Atmospheric Science veröffentlicht wurde, basiert auf einer maschinellen Lernanalyse von Aerosolmessungen und Wetterdaten der letzten zehn Jahre. Es ist die erste Studie, die ermittelt, welche meteorologischen Faktoren für die Produktion von Methansulfonsäure (MSA) verantwortlich sind, einem wichtigen marinen Aerosol, das durch Phytoplanktonblüten entsteht, und wie sich diese Produktion in den nächsten 50 Jahren wahrscheinlich verändern wird. MSA ist eine Schlüsselkomponente der Wolkenkondensationskerne, also der Keime für Wolkentröpfchen, und daher klimarelevant.

Die Studie Climate and Atmospheric Science untersuchte unterdessen mögliche MSA-Trends in der Arktis. EERL-Forschende arbeiteten mit dem Swiss Data Science Center zusammen, um Feldbeobachtungen mit Analysen von Wetterdaten und Luftmassen-Rückflugbahnen zu kombinieren. Sie entwickelten ein datengestütztes Modell, um einen besseren Einblick in die Faktoren zu erhalten, die für die heutige MSA-Produktion verantwortlich sind. So fanden die Wissenschaftlerinnen beispielsweise heraus, dass Sonneneinstrahlung, Wolkenbedeckung und Wolkenwassergehalt entscheidende Faktoren sind, die auf bestimmte chemische Prozesse in der Atmosphäre hinweisen.

Das Forschungsteam berechnete dann die Entwicklung dieser Faktoren in den letzten Jahrzehnten und extrapolierte sie, um Szenarien für die zukünftige Saisonalität von MSA in der Arktis zu entwerfen: «Unsere wichtigste Erkenntnis ist, dass es im Frühjahr wahrscheinlich weniger MSA geben wird und im Herbst viel mehr», sagt Schmale. «Das liegt an den saisonalen Veränderungen der Niederschläge im Frühjahr und einem deutlichen Rückgang des Meereises im Herbst», so Schmale, was darauf hindeutet, dass der Klimawandel die Aerosole beeinflusst, die die Wolkenbildung beeinflussen, was wiederum den Klimawandel beeinflusst.

Grafische Darstellung der zukünftigen Polarstation, die derzeit in Cherbourg gebaut wird. © Tara Ocean Foundation

Die richtigen Fragen stellen

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler planen bereits eine weitere internationale Expedition in die Arktis und bereiten ein Forschungsschiff vor – die Tara Polar Station –, das in den nächsten 20 Jahren zentrale arktische Daten sammeln soll. «Die Fortschritte dieser beiden Studien sind meiner Meinung nach faszinierend, weil sie zeigen, wie wichtig die natürlichen Quellen von Aerosolpartikeln für das arktische Klimasystem sind, und sie deuten darauf hin, dass sich diese Quellen in den kommenden Jahrzehnten drastisch verändern werden», sagt Schmale: «Diese ersten Ergebnisse zeigen uns, dass weitere Forschung dringend notwendig ist, um vorherzusagen, wie die Arktis im Jahr 2050 aussehen wird. Sie werden uns helfen, die richtigen Fragen für künftige Studien in diesem Bereich zu stellen.»

In grönländischen Fjorden gespeicherte Gase können zur globalen Erwärmung beitragen

Im Juni 2024 reist ein anderes Team von EPFL-Forschenden durch zwei wunderschöne, wilde Fjorde in Grönland. In den Tiefen dieser von jahrhundertealten Gletschern gespeisten Buchten kartieren sie die Menge zweier im Wasser gelöster Treibhausgase in der Tiefe. Sie wollen herausfinden, ob diese Treibhausgase die globale Erwärmung über einen unbekannten natürlichen Rückkopplungsmechanismus verstärken könnten. Dieses Projekt ist Teil der internationalen GreenFjord-Expedition, die von 2022 bis 2026 laufen soll, vom Swiss Polar Institute finanziert und von Julia Schmale wissenschaftlich geleitet wird.

«Wir bringen unser technologisches Know-how nach Grönland und entwickeln die richtigen Instrumente, um gelöste Treibhausgase in Gewässern zu analysieren und ihre räumliche Variabilität zu dokumentieren. Unser Ziel ist es, grundlegende Fragen zur Rolle Grönlands in der Zukunft des globalen Klimawandels zu beantworten», sagt Jérôme Chappellaz, Leiter des EPFL-Labors Smart Environmental Sensing in Extreme Environnements (SENSE).

Juni 2024: Grönlandexpedition – 2024 SENSE/EPFL - CC-BY-SA 4.0

In vergangenen Zwischeneiszeiten, als Grönland teilweise geschmolzen war, waren die eisfreien Regionen möglicherweise mit Tundra und borealen Wäldern bedeckt, die bekanntermassen zu Böden mit hohem Anteil an organischem Material führen. Bei der Zersetzung dieser organisch reichen Böden werden Kohlendioxid und Methan freigesetzt, was einer der Gründe ist, warum sich die Forschenden so sehr für den Beitrag Grönlands zu den globalen Emissionen interessieren. Die grönländischen Gletscher unterscheiden sich von den Schweizer Gletschern: «Es ist sehr unwahrscheinlich, dass wir dasselbe Phänomen auf den Schweizer Gletschern antreffen, da sie in sehr hohen Lagen entstanden sind, wo es fast keine Vegetation gibt», erklärt Chappellaz.

Auswirkungen auf die Mikrobiologie

Fjorde sind lange, schmale und tiefe Meereseinschnitte zwischen hohen Klippen, die in der Regel durch die Überflutung eines vergletscherten Tals entstanden sind. Chappellaz und sein Team profitieren von einem interdisziplinären Projekt namens GreenFjord, das vom Swiss Polar Institute finanziert und von Julia Schmale, Leiterin des Extreme Environments Research Laboratory (EERL) der EPFL, koordiniert wird. Sie haben fortschrittliche Instrumente entwickelt, die speziell für die Messung von gelöstem Methan (CH4) und Distickstoffoxid (N2O) in verschiedenen Wassertiefen in den beiden Fjorden im Südwesten Grönlands entwickelt wurden, und zwar bis in 700 m Tiefe.

Der Fjord, der von einem marin-terminierenden Gletscher gespeist wird, besteht aus den Fjorden Ikersuaq, Brederfjord und Sermilik, in denen Gletscherwasser von unterhalb des schwimmenden Gletschers in den Fjord und dann in die Labradorsee gelangt, wobei sich nach und nach eine Schicht aus Gletscherwasser bildet, die auf dem Meerwasser schwimmt. Im Gegensatz dazu entspringt der Fjord Tunulliarfik, in dem die 1783 gegründete Siedlung Igaliku liegt, aus einem Gletscher, der an Land endet, und das Schmelzwasser des Gletschers dringt vom Beginn des Fjords an die Oberfläche des Fjordwassers.

«Die unterschiedlichen Merkmale der beiden Gebiete führen zu grossen Unterschieden in der physikalischen Struktur der Wassersäule und im Nährstoffeintrag, die sich auf die Mikrobiologie in den beiden Fjorden und damit auf das Schicksal dieser beiden Treibhausgase auswirken. Genau das wollen wir vergleichen und quantifizieren», erklärt Chappellaz.

«In einer Situation, in der die grönländische Eiskappe abbricht, ist es eine offene Frage, ob solche Mechanismen eine weitere unerwartete Quelle von Treibhausgasemissionen zusätzlich zu den vom Menschen verursachten hinzufügen könnten.»      Jérôme Chappellaz

Eine unerwartete Quelle von Treibhausgasen?

Chappellaz und sein Team besuchten an Bord des ozeanographischen Schiffes Sanna sowohl die Fjorde mit Meeres- als auch mit Landzugang. An Bord des Schweizer Segelschiffs Forel konzentrierten sie sich auf den Fjord am Meeresende. Die Wissenschaftler konnten nahe genug an die Gletscherstirn im maritimen Gletscherfjord herankommen, um zu messen und hoffentlich zu charakterisieren, wie viel Methan durch das subglaziale Wassersystem in den Fjord gelangt.

Jérôme Chappellaz, Leiters des EPFL SENSE Laboratory (SENSE) – 2024 SENSE/EPFL - CC-BY-SA 4.0

In einer Veröffentlichung aus dem Jahr 1995 zeigt Chappellaz, dass die Treibhausgasproduktion im grönländischen Boden stark ist und dass große Konzentrationen von Kohlendioxid (CO2) und Methan derzeit im Basaleis im Herzen der grönländischen Eiskappe eingeschlossen sind: «Die natürliche Frage ist dann, wie viel dieser Treibhausgase werden freigesetzt, wenn das Gletscherwasser schmilzt? Wie viel gelangt an die Küste und trägt möglicherweise zu bedeutenden Flüssen bei, die in die Atmosphäre gelangen? In einer Situation, in der die grönländische Eiskappe abbricht, ist es eine offene Frage, ob solche Mechanismen eine weitere unerwartete Quelle von Treibhausgasemissionen zusätzlich zu den vom Menschen verursachten hinzufügen könnten», sagt Chappellaz.

Beim künftigen Klimawandel geht es um zwei grosse Beiträge: Emissionen aufgrund menschlicher Aktivitäten und Verstärkungen durch natürliche Quellen in einer wärmeren Welt. Mit anderen Worten, wie viel Treibhausgasemissionen werden die menschlichen Gesellschaften in welchem Tempo verursachen, und wie viel Verstärkung wird in einer wärmeren Welt durch natürliche Rückkopplung auftreten. «Unsere Arbeit in Grönland untersucht mögliche natürliche Rückkopplungsmechanismen und gibt uns einen dringenden Einblick in grundlegende wissenschaftliche Fragen zur Zukunft unseres Klimas in einem Kontext, in dem es noch viele Ungewissheiten und unbekannte Prozesse gibt», sagt Chappellaz.

GreenFjord und der Klimawandel

GreenFjord ist ein vierjähriges Forschungsprogramm, das im Jahr 2022 begann. Es soll untersuchen, wie sich der Klimawandel auf die Ökosysteme in Südgrönland auswirkt und wie sich dies auf die biologische Vielfalt und die Lebensgrundlagen auswirkt.

Gemeinsame Expedition

An Bord der Forel waren letzten Monat die EPFL-Forschenden Julia Schmale (GreenFjord-Koordinatorin) und Minhea Surdu vom EERL, die atmosphärische Aerosole untersuchen, sowie Jérôme Chappellaz mit Sébastien Lavanchy und Christel Hassler vom SENSE, die die Treibhausgase der beiden Fjorde sowie die physikalische und chemische Struktur des Fjordwassers untersuchen. An Bord des Schiffes Sanna der EPFL waren Minhea Surdu vom EERL, die ihre Studie über atmosphärische Aerosole fortsetzte, sowie Christel Hassler und Sébastien Lavanchy vom SENSE. EERL und SENSE sind Teil des Forschungszentrums ALPOLE der EPFL.

Julia Schmale ist Inhaberin des Ingvar-Kamprad-Lehrstuhls für extreme Umgebungen, der von Ferring Pharmaceuticals gesponsert wird.

Jérôme Chappellaz hat den Margaretha-Kamprad-Lehrstuhl für Umweltwissenschaften von Ferring Pharmaceuticals inne.