Fliegen wie ein Käfer

In einer neuen Studie haben EPFL-Forschende herausgefunden, dass Nashornkäfer statt Muskeln passive Mechanismen zum Ausfahren und Einziehen der Flügel verwenden. Diese Erkenntnisse inspirierten sie zur Entwicklung eines neuen Mikroroboters, der einen einfachen, aber effektiven Ansatz für die Entwicklung von insektenähnlichen fliegenden Mikromaschinen darstellt.
Der flügelschlagende Mikroroboter fliegt mit passiv ausfahrenden und einfahrenden Flügeln - 2024 EPFL/Hoang-Vu Phan - CC-BY-SA 4.0

Vögel, Fledermäuse und Bienen benutzen alle bestimmte Muskeln, um ihre Flügel aus- und einzuklappen. Bei kleineren Insekten ist das aufgrund des geringeren Platzangebots möglicherweise anders, und die Wissenschaftl streitet noch darüber, ob sie tatsächlich Muskeln zum Antrieb ihrer Flügel verwenden. Käfer sind ein komplexes Beispiel für einen Flugmechanismus: Sie haben ein Paar steife Vorderflügel, Elytren genannt, und ein Paar faltbare, häutige Hinterflügel. Im Ruhezustand sind die Hinterflügel unter der schützenden Hülle der Flügeldecken zusammengefaltet; vor dem Abheben öffnen sich die Flügeldecken vollständig und geben die Hinterflügel frei, die sich dann wie ein Origami entfalten.

Trotz jüngster Forschungen zu den Hinterflügeln der Käfer konnte nicht geklärt werden, wie diese angetrieben werden. Nun haben Forschende um Dario Floreano von der EPFL zum ersten Mal gezeigt, dass die Hinterflügel des Käfers passiv ein- und ausgefahren werden. Mit einer Kombination aus Hochgeschwindigkeitskameras und Tests an Robotermodellen zeigen sie, dass die Hinterflügel die Flügeldecken zum Ein- und Ausfahren nutzen, während der Flügelschlag die Flügel zum Entfalten bringt. Diese Erkenntnisse könnten für die Entwicklung neuer Mikroroboter nützlich sein, die auf engem Raum fliegen können. Die EPFL-Forschenden nutzten die neu gewonnenen Erkenntnisse bereits, um einen schlagenden Mikroroboter zu testen, der einen ähnlichen passiven Mechanismus nutzt, um zu starten, zu fliegen und zu landen. Die Forschungsergebnisse wurden in Nature veröffentlicht.

Nashornkäfer bereit zum Abheben 2024 EPFL/Hoang-Vu Phan CC-BY-SA 4.0_Credit_Hoang-Vu Phan

«Entgegen der Annahme, dass jede Bewegung einen eigenen Mechanismus erfordert, zeigt diese Studie, dass die natürliche Evolution Synergien in der Steuerung und physikalische Interaktionen nutzt, um die Komplexität zu reduzieren, Energie zu sparen und die Widerstandsfähigkeit zu erhöhen», sagt Dario Floreano, Direktor des Labors für Intelligente Systeme an der EPFL. Frühere Forschungen haben die origamiartige Faltung der Käferhinterflügel eingehend untersucht, wobei sie davon ausgingen, dass die Brustmuskeln das Auffalten und Einziehen der Flügel vorantreiben. «Die grösste Herausforderung bestand darin, zu zeigen, dass die Muskeln nicht am Auffalten der Hinterflügel beteiligt sind», sagt Hoang-Vu Phan, Postdoc in der Gruppe von Floreano und Erstautor der Publikation.

Die EPFL-Forschenden gingen das Problem an, indem sie den Hinterkopf eines Nashornkäfers (Allomyrina dichotoma) an einer Halterung verankerten und seine Flügelbewegung mit drei synchronisierten Hochgeschwindigkeitskameras (mit einer Bildrate von 2000 Bildern pro Sekunde) aufnahmen. Die Bilder zeigen, dass, sobald sich die Flügeldecken öffnen, die Hinterflügel teilweise vom Körper gelöst werden. In einem zweiten Moment beginnt der Käfer zu flattern, was die Anhebung der Hinterflügelbasis und die vollständige Entfaltung der Flügel auslöst. Die Forschenden vermuten, dass anstelle von Muskeln vorgespannte Energie in den Flügeldecken ein federartiges Auslösen der Hinterflügel bewirkt, während die vollständige Entfaltung der Flügel durch die Zentrifugalkraft des Schlagens angetrieben werden könnte.

Um zu beweisen, dass keine Muskeln beteiligt sind, entfernten die Forschenden vorsichtig einen Hinterflügel vom Käfer und befestigten ihn an einer Kurbel eines speziell angefertigten Schlagmechanismus, der auch eine freie Höhenbewegung ermöglicht. Indem sie den Hinterflügel mit etwa 38 Flügelschlägen pro Sekunde, ähnlich wie beim Nashornkäfer, zum Schlagen anregten, beobachteten sie die gleichen Hebe- und Entfaltungsvorgänge wie bei den Insekten.

Hochgeschwindigkeitskameras zeigten auch, wie die Flügeldecken nach dem Flug die Flügel zum Ruhen zurückschieben. Da durch das Entfernen einer Seite der Flügeldecken der Hinterflügel offen blieb und nicht eingezogen werden konnte, vermuten die Forschenden, dass die Flügeldecken und nicht die Muskeln für das Einziehen der Flügel verantwortlich sind.

«Diese Erkenntnisse erweitern unser Verständnis der Fortbewegungsstrategien von Insekten und bringen uns einen Schritt näher an die Umsetzung dieser Strategien bei der Entwicklung von kleinen fliegenden Mikrorobotern, die dadurch noch insektenähnlicher werden», sagt Hoang-Vu Phan. Die EPFL-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler haben das Prinzip des passiven Mechanismus bereits in einen neuen 18 Gramm schweren Mikroroboter umgesetzt. Bei ihm aktiviert ein Motor den Flügelschlag und die passive Entfaltung von 20 cm breiten Flügeln, die den Start und den stabilen Flug ermöglichen. Nach dem Abschalten des Flügelschlags zieht der Roboter die Flügel bei der Landung schnell an den Körper zurück, ohne dass zusätzliche Aktuatoren benötigt werden. «Diese Roboter sind eine Verbesserung der bestehenden Schlagroboter, die ihre Flügel in einer vollständig ausgefahrenen Konfiguration fixiert halten; sie könnten besonders in unübersichtlichen und engen Räumen nützlich sein», so Hoang-Vu Phan.