Die ESA kommt in die Schweiz
Die Europäische Weltraumorganisation ESA stärkt ihre Zusammenarbeit mit Innovationsakteuren aus der Schweiz. Dafür haben die ESA und das Paul Scherrer Institut PSI Ende Oktober einen gemeinsamen Vertrag unterzeichnet, der den Beginn des «European Space Deep-Tech Innovation Centre» ESDI markiert. Standort des ESDI ist der Switzerland Innovation Park Innovaare, der wiederum direkter Nachbar des PSI ist. Der Vertrag definiert eine erste Plattform des ESDI: Das Phi-Lab, welches ans PSI angebunden ist und Instrumente zur Innovationsförderung schafft.
«Mit dem ESDI bringen wir die ESA in die Schweiz», sagt Johann Richard, Leiter des ESDI. Tatsächlich wird mit dem ESDI das PSI zum einzigen Standort in der Schweiz, an dem die ESA eine dauerhafte Präsenz hat. «Damit kann diese internationale Organisation hier im Land sichtbar sein, nahbar sein und netzwerken», so Richard. Das ESDI soll auch in die andere Richtung vermitteln: «Wir wollen dazu beitragen, Entwicklungen aus dem Schweizer High-Tech- und Deep-Tech-Bereich zum Einsatz zu bringen – für die Weltraumforschung der ESA, zum Nutzen ihrer Mitgliedsstaaten, aber möglicherweise auch für ganz andere Bereiche in der Industrie.»
Innovationen in den Quanten- und Datenwissenschaften sowie in der Materialforschung
Um diese zweite Aufgabe konkret zu bewältigen, startet das ESDI direkt mit einer eigenen Plattform für Forschungsaktivitäten, dem Phi-Lab. Hier ist Jennifer Wadsworth Leiterin. «Das Phi-Lab hat die Mission, Forschungsprogramme zu erstellen, die neue und innovative Projekte in der Schweiz fördern und finanziell unterstützen», erklärt sie. Das erste dieser Förderprogramme startet bereits 2025. Für dieses sucht das Phi-Lab nach technologischen Entwicklungen zunächst aus zwei konkreten Themenbereichen: Quantenforschung und Datenwissenschaften einerseits sowie Materialforschung andererseits.
«Mit dem Phi-Lab können wir divers zusammengestellte Teams unterstützten, die aus Industrie, Start-ups und der akademischen Forschung zusammenkommen», so Wadsworth. Schweizweit sollen Projekte gefördert werden, die beispielsweise aufgrund ihres Umfangs und ihrer Ambitionen für bereits bestehende Fördermassnahmen ungeeignet sind.
Richard formuliert es so: «Unser Ziel ist es, Probleme anzugehen, deren Lösungen eine deutliche Auswirkung auf die Praxis haben, und die sich nicht durch kleine Verbesserungen beheben lassen, sondern disruptive, interdisziplinäre Innovationen benötigen.»
Um ein Beispiel zu nennen, stellen sich Wadsworth und Richard vor, dass ESDI und Phi-Lab womöglich die Entwicklung einer bestimmten Technologie fördern könnten, die in den Sensoren von Satelliten neue und präzisere Forschung ermöglichen würde, und die zugleich im Bereich der Quantentechnologien und der Quantencomputer einen Schritt in Richtung Kommerzialisierung mit sich bringen könnte. Sie betonen jedoch auch, dass der genaue Rahmen der Forschungs- und Innovationsvorhaben in enger Abstimmung zwischen der ESA, dem Phi-Lab sowie Forschungsteams und -organisationen festgelegt wird. Für die konkrete Förderung von Projekten durch das Phi-Lab wird es danach offene Ausschreibungen geben.
Angestossen durch das SBFI, unterstützt durch den ETH-Bereich
Formell gehört das ESDI zur ESA, während das Phi-Lab in die Organisation des PSI eingebunden ist. Praktisch arbeiten Johann Richard und Jennifer Wadsworth eng zusammen, beide haben Büros im Park Innovaare.
Die Schweiz ist ein Gründungsmitglied der ESA und somit von Anfang an in die europäische Weltraumgemeinschaft eingebunden. ESDI und Phi-Lab sind die Fortführung einer verstärkten Zusammenarbeit, die bereits im Mai 2022 zur Unterzeichnung eines Kooperationsabkommens zwischen der ESA und dem Schweizerischen Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI führte. Das PSI erhielt damals die Aufgabe, diese Pläne in Zusammenarbeit mit der ESA zu konkretisieren.
Entsprechend erhält das ESDI eine Anschubfinanzierung vom SBFI. Ab 2025 wird es finanziell vom ETH-Bereich unterstützt.
Da das ESDI keine eigenen Labore und Fertigungsräume haben wird, kommt der Standort am Park Innovaare und die Nähe zum PSI ins Spiel: Der Park Innovaare wurde Anfang 2024 eingeweiht und konnte sowohl grosse Unternehmen als auch innovative Start-ups anziehen. Die dortigen Labore sind für fortschrittliche Fertigungstechniken ausgestattet, sodass Prototypen in mechanischer, elektronischer und digitaler Form realisiert werden können.
Auch das PSI bietet Knowhow, Ressourcen und eine eingeschliffene Logistik rund um die eigene Spitzenforschung. Insbesondere ist man durch die hier angesiedelten Teilchenbeschleuniger und Grossforschungsanlagen auf extreme Bedingungen eingestellt, wie sie auch im Weltall herrschen: «Vakuumtechnik und Bauteile, die extrem tiefe Temperaturen benötigen, sind an unseren Grossforschungsanlagen allgegenwärtig», erklärt Thierry Strässle, Stabschef am PSI. «Unsere Teilchenbeschleuniger können Strahlung erzeugen, sodass die zugehörige Elektronik strahlungssicher gestaltet sein muss. In all diesen Bereichen ist das PSI daher erfahren, gut ausgerüstet und kann gezielte Unterstützung bieten.»
Über die Europäische Weltraumorganisation
Die ESA ist eine 1975 gegründete, zwischenstaatliche Organisation, die den Auftrag hat, die Entwicklung der europäischen Raumfahrtkapazitäten zu gestalten und sicherzustellen, dass die Investitionen in die Raumfahrt den Bürgern Europas und der Welt zugutekommen.
Der ESA gehören 22 Mitgliedstaaten an: Belgien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, die Schweiz, Spanien, die Tschechische Republik, Ungarn und das Vereinigte Königreich. Lettland, Litauen, die Slowakei und Slowenien sind assoziierte Mitglieder.
Die ESA hat eine formelle Zusammenarbeit mit weiteren vier Mitgliedstaaten der EU aufgenommen. Kanada nimmt im Rahmen eines Kooperationsabkommens an einigen ESA-Programmen teil.
Durch die Koordinierung der finanziellen und intellektuellen Ressourcen ihrer Mitglieder kann die ESA Programme und Aktivitäten durchführen, die weit über die Möglichkeiten eines einzelnen europäischen Landes hinausgehen. Sie arbeitet insbesondere mit der EU bei der Umsetzung der Programme Galileo und Copernicus sowie mit Eumetsat bei der Entwicklung von meteorologischen Missionen zusammen.
Teilchenbeschuss simuliert Weltall-Bedingungen
Die Zusammenarbeit zwischen ESA und PSI hat bereits eine lange und erfolgreiche Geschichte: An der hiesigen Protonenbestrahlungsanlage PIF werden Materialtests im Auftrag der ESA durchgeführt. Beschleunigte Protonen beschiessen hier Elektronikkomponenten der Raumfahrt, um den Teilchenbeschuss im Weltall zu simulieren.
Zudem ist das PSI weltweit führend in der Entwicklung von Detektoren, die unter anderem in der Raumfahrt zum Einsatz kommen. So startete im April 2023 die JUICE-Mission der ESA zum Planeten Jupiter und seinen Monden. An Bord befindet sich auch der Hightech-Detektor RADEM, der am PSI entwickelt wurde und der Aufschluss über die komplexen Strahlungsverhältnisse sowie die hochdynamische magnetische Umgebung des Jupitersystems liefern soll.
In den Bereichen Materialforschung, Quantenforschung und künstliche Intelligenz bietet das PSI weitere Anknüpfungspunkte für relevante Themenfelder der ESA.
Auch Strässle freut sich über das Schweizer Engagement zur Raumfahrtforschung: «Das ESDI wird für die gesamte Schweiz sowohl ein virtueller als auch ein physischer Knotenpunkt zur ESA sein.»
Die Eröffnungsfeier des ESDI ist für den Frühling 2025 geplant.