Trockene Sommer: Wiederverwendung von gereinigtem Abwasser könnte helfen
Die Schweiz wird gern als das «Wasserschloss Europas» bezeichnet. Aber die heissen und trockenen Sommer der letzten Jahre haben gezeigt, dass auch in unserem wasserreichen Land regional zeitweise das Wasser knapp werden kann. Bedingt durch den Klimawandel werden solche Situationen zunehmen. Neben der Verknappung des Wasserangebots steigt in solchen Perioden gleichzeitig der Wasserbedarf, etwa für die Bewässerung in der Landwirtschaft oder für Kühlwasser. Um sich für die Zukunft zu wappnen, braucht es eine nachhaltige Bewirtschaftung und Nutzung von Wasserressourcen. Das Wasserforschungsinstitut Eawag hat im Rahmen des kürzlich abgeschlossenen Projekts «Wasserwiederverwendung in der Schweiz» untersucht, ob dabei auch die Wiederverwendung von gereinigtem häuslichem Abwasser eine Option sein könnte. Dieses Wasser würde etwa für die Bewässerung von Landwirtschafts- und Grünflächen, im Haushalt für Waschmaschine und Toilettenspülung oder in der Industrie als Kühl- und Prozesswasser zur Verfügung stehen. Das reduziert die Wassermenge, die zur Deckung des Bedarfs aus dem Grundwasser oder aus Gewässern entnommen werden muss.
In den USA, Australien, Singapur und Südeuropa, wo Wasserknappheit zum Alltag gehört, wird häusliches Abwasser seit langem für die Wiederverwendung aufbereitet – teilweise bis zur Trinkwasserqualität. In der Schweiz jedoch war das bisher noch kein Thema. Wasserwiederverwendung, bei der das Wasser versickert – wie etwa bei der Bewässerung von Landwirtschaftsflächen – ist aktuell zum Schutz der Gewässer verboten. Alle übrigen Anwendungszwecke wie etwa die Wiederverwendung in Gebäuden sind für den Gewässerschutz unproblematisch, es fehlen aber gesetzliche Vorgaben und Qualitätsanforderungen zum Schutz der menschlichen Gesundheit.
Kantone sehen Bedarf für Wasserwiederverwendung
Die EU ist hier bereits einen Schritt weiter. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, die Wasserwiederverwendung in den Mitgliedsstaaten zu fördern. 2023 ist eine Verordnung in Kraft getreten, welche die Wiederverwendung von gereinigtem, kommunalem Abwasser für die Bewässerung in der Landwirtschaft ermöglicht und Mindestanforderungen dafür festlegt. Allerdings steht es den Mitgliedsstaaten frei, ob sie diese Verordnung umsetzen. Das tun beispielsweise Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien, Österreich jedoch bisher noch nicht.
Ob es in der Schweiz Bedarf für die Wasserwiederverwendung gibt, haben Forschende der Eawag-Abteilung Verfahrenstechnik unter der Leitung von Eberhard Morgenroth im Rahmen des Projekts «Wasserwiederverwendung in der Schweiz» mit einer Umfrage bei kantonalen Wasserämtern untersucht. Demnach sehen 19 Kantone Bedarf für die Wasserwiederverwendung für verschiedene Anwendungen inklusive der Bewässerung, davon in 13 Kantonen als Notfallmassnahme während Trockenzeiten. Nur 4 Kantone geben an, nie Bedarf für die Wasserwiederverwendung im Kanton zu sehen.
Das Projekt nahm daher das Thema Wasserwiederverwendung in der Schweiz genauer unter die Lupe, stellte Angebot und Bedarf gegenüber, ermittelte Chancen und Risiken und leitete daraus Handlungsempfehlungen ab.
Angebot und Bedarf können gut zusammenpassen
Bei der räumlichen Gegenüberstellung der Orte, wo in der Schweiz gereinigtes Abwasser anfällt und wo im Vergleich dazu Bedarf für dessen Wiederverwendung besteht, sehen die Forschenden eine gute Übereinstimmung. Denn die grössten Mengen an gereinigtem Abwasser fallen in den grossen Kläranlagen der dicht besiedelten Regionen an, also vor allem im Mittelland. Dort befinden sich auch die meisten potenziellen Nutzer von gereinigtem Abwasser – Landwirtschaftsflächen, Industrie, Haushalte und urbane Grünflächen.
Eine weitere erste Abschätzung durch die Forschenden zeigt ausserdem, dass die Mengen an gereinigtem Abwasser, die bei Trockenwetter anfallen, ausreichen würden, um den momentanen Bewässerungsbedarf in Landwirtschaft und Siedlungen zu decken.
«Wassermangel ist immer ein lokales Problem», so Eberhard Morgenroth. «Es müssen daher jeweils die Möglichkeiten für die Wasserversorgung identifiziert werden, welche den Transport von Wasser minimieren und wo Angebot und Nachfrage auch zeitlich zusammenpassen.» Die beste Lösung könne ja nach Rahmenbedingungen die Nutzung herkömmlicher Wasserressourcen, die dezentrale Wiederverwendung von Wasser in Gebäuden oder die Nutzung des gereinigten Abwassers aus zentralen Kläranlagen sein.
Umgang mit den Risiken
Wird gereinigtes Abwasser wiederverwendet, so wird es nicht oder erst später in die Gewässer zurückgegeben. Die Forschenden wollten daher wissen, ob das zum Problem für die Wassermengen in den Gewässern werden könnte. Sie untersuchten, welchen Anteil der Ablauf der Kläranlagen zur Wassermenge der jeweiligen Gewässer beiträgt. Ihr Fazit: Bei den meisten Kläranlagen wäre die Wiederverwendung von Abwasser möglich, ohne die maximalen Mengen zu überschreiten, die für Wasserentnahmen aus Gewässern gesetzlich vorgeschrieben sind. Die Wiederverwendung von Wasser würde also in den meisten Fällen die natürlichen Funktionen des Gewässers nicht beeinträchtigen. «Man wird trotzdem immer abwägen müssen, ob Wasser für andere Zwecke wiederverwendet wird oder in die Gewässer zurückgegeben werden soll», meint Eberhard Morgenroth.
Gereinigtes Abwasser kann je nach Herkunft und Aufbereitung immer noch verschiedene Verunreinigungen enthalten. Damit die Wiederverwendung unproblematisch ist für Mensch und Umwelt, müssten daher für jeden Verwendungszweck Anforderungen an die Wasserqualität definiert werden, wie das in einigen Ländern bereits gemacht wird. So gibt es beispielsweise in der EU abgestufte Anforderungen an die Qualität von wiederverwendetem Wasser für die landwirtschaftliche Bewässerung, je nachdem ob etwa Energiepflanzen oder Nahrungsmittel auf dem Acker wachsen. In den USA gibt es für die direkte Wiederverwendung im Gebäude für die Toilettenspülung etablierte Normen. Es brauche ein gesamtheitliches Risikomanagement, so die Forschenden. Das beginnt bei der Auswahl der Kläranlagen, deren Abwasser überhaupt verwendet werden darf, geht über weitere Aufbereitungsschritte für das gereinigte Abwasser bis hin zu Vorgaben zu Art und Zeitpunkt der Bewässerung
Drei Fragen an Eberhard Morgenroth
Ist Wasserwiederverwendung eine Option, welche in der Schweiz zu einem nachhaltigen Management der Wasserressourcen beitragen kann?
Ja, aber ein robustes Wassermanagement benötigt bei Wasserknappheit verschiedene Handlungsoptionen. Wasserwiederverwendung sollte in der Schweiz genauso zum Portfolio für ein nachhaltiges Management der Wasserressourcen gehören wie eine Erhöhung der Wassernutzungseffizienz und der Erschliessung von konventionellen Wasserressourcen.
Was braucht es als nächste Schritte, um Wasserwiederverwendung in der Schweiz zu ermöglichen?
Mit steigendem Interesse an der Wasserwiederverwendung ist es für die Schweiz wichtig, klare Rahmenbedingungen und Anforderungen zu formulieren. Für die praktische Umsetzung und das Management der Wasserwiederverwendung gibt es in der EU und im weiteren Ausland gute Beispiele, von denen wir lernen können.
Welchen Beitrag leistet die Eawag dazu?
Im Abschlussbericht zum Projekt geben wir klare Empfehlungen, wie die nächsten Schritte aussehen sollten, um die Wasserwiederverwendung strukturiert weiterzuentwickeln. Die Eawag möchte beitragen zur Entwicklung von Vorgaben und Rahmenbedingungen für Wasserqualität, Betrieb und Monitoring von Anlagen bei der Wasserwiederverwendung sowie zur Weiterentwicklung von robusten Technologien für die Aufbereitung. Wir möchten ausserdem untersuchen, unter welchen Bedingungen die Bevölkerung eine Wiederverwendung von gereinigtem Abwasser akzeptiert und Erfahrungen aus bestehenden Pilotversuchen in der Schweiz zusammentragen. Die Eawag ist im Bereich Wasserwiederverwendung international sehr gut vernetzt und baut zurzeit die Kompetenzen in diesem Bereich noch weiter aus.
Bundesrat erarbeitet nationale Wasserstrategie
Aktuell sind die Kantone für das Wassermanagement zuständig. Bereits sind von Kanton zu Kanton sehr unterschiedliche Wasserstrategien entstanden. In der Sommersession 2024 hat das Parlament nun neu die Erarbeitung einer nationalen Strategie als Legislaturziel für die Periode bis 2027 aufgenommen. Im Rahmen der Anpassung an den Klimawandel (Ziel 25) wird der Bundesrat als Massnahme 127 eine Strategie verabschieden unter dem Titel: «Wassermanagement – Trockenperioden, Starkniederschläge, Qualität der Wasserversorgung, Schutz der Wasserlebensräume». Hintergrund ist der Trockensommer 2022 und die Erkenntnis in der Politik, dass bei Wasserknappheit zunehmend Prioritäten gesetzt werden müssen, etwa zwischen den Interessen der Industrie, der Haushalte, der Landwirtschaft und der Energieproduktion. Durch eine Priorisierung der Wassernutzungen können die Kantone die Deckung des Wasserbedarfs und den Schutz der Gewässerökosysteme sicherstellen. «Es kann nicht sein, dass jeder Kanton nach seinem eigenen Rezept handelt, es bedarf einer Koordination», sagte etwa die Ständerätin Céline Vara (Grüne/NE).