«CO2 kann zur wertvollen Ressource werden»
Thomas Justus Schmidt ist promovierter Chemiker, Professor für Elektrochemie an der ETH Zürich und Leiter des Forschungsbereichs Energie & Umwelt am PSI mit der Gruppe Energiewirtschaft am Labor Energiesystemanalysen. Wirtschaftsingenieur Tom Kober, der in Energiewirtschaft promovierte und die Gruppe leitet, sagt: «Zwei Herzen schlagen in meiner Brust, Technik und Ökonomie.» Beide arbeiten an der Frage: Wie kann das Schweizer Energiesystem dekarbonisiert und gemäss der Energiestrategie 2050 zu Klimaneutralität umgebaut werden? Chemie und Technik sind notwendig für die konkrete Substitution fossiler Energiequellen und die Langzeitspeicherung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen. Die Ökonomie zeigt die damit verbundenen Kosten auf.
Der Stoff, um den es geht, ist Kohlenstoffdioxid oder CO2. Es kommt in der Erdatmosphäre vor, entsteht aber auch durch die Verbrennung von Holz, Kohle, Öl oder Gas sowie bei industriellen Prozessen. Einmal freigesetzt, baut sich CO2 nicht selbst ab – es wird durch Gewässer physikalisch gespeichert oder durch Grünpflanzen über die Photosynthese abgebaut. Allein seit Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich der globale CO2-Anstieg vervierfacht. Dies überfordert die natürlichen Kohlenstoffsenken und erhöht den Treibhauseffekt.
«CO2 kann zur wertvollen Ressource werden»: So lautete 2021 die überraschende Schlagzeile einer PSI-
Pressemitteilung. Das flüchtig-klimaschädliche Kohlenstoffdioxid als plötzlich geschätzter Rohstoff? Was wie Hexerei tönt, «ist Chemie», so Schmidt lapidar. CO2 wird aus der Atmosphäre oder am Entstehungsort abgefangen. So wie in einem Verbrennungsprozess CO2 entsteht, «ist es auch möglich, diesen Prozess umzukehren, wodurch wieder Ausgangsstoffe für Chemikalien oder synthetische Brennstoffe entstehen können», erklärt Schmidt. Über eine Elektrolyse wird durch elektrischen Strom ein Prozess ausgelöst, der CO2 zusammen mit Wasser zu wertvollen Chemikalien reagieren lässt.
«Die Nutzung des CO2 als Rohstoff kann einen substanziellen Beitrag zu Klimaschutz und Energiewende leisten», ist Schmidt überzeugt. Allerdings: Der Weg über die Elektrolyse muss energieeffizient erfolgen, der Strom aus erneuerbaren Quellen stammen und in der Bilanz muss mehr CO2 gebunden als freigesetzt werden. Eine am PSI entwickelte Elektrolyse-Zelle zeigt, dass auch mit dem heute gängigen Schweizer Strommix bereits Kohlenmonoxid (CO), ein wichtiger Ausgangsstoff zur Herstellung von synthetischen Kraftstoffen, hergestellt werden kann, «das ein Potenzial zur CO2-Senke aufweist», betont Schmidt. Prozesse, die im Labor zuverlässig funktionieren, stehen jetzt an der Schwelle zur Massenproduktion. Grosses Potenzial gibt es auch bei der Herstellung von synthetischem Treibstoff für den Flugverkehr, wo die Dekarbonisierung besonders schwierig ist. Mit der interdisziplinären Forschung der Initiative SynFuels von PSI und Empa ist es bereits gelungen, im Labor kleinere Mengen an synthetischem Treibstoff herzustellen.
Strom ist der Schlüssel für die nicht-fossile Energiezukunft. Dabei spielen Speichertechnologien bei gleichzeitig steigendem Verbrauch eine Schlüsselrolle. «Strom direkt über längere Zeiträume zu speichern ist schwer bezahlbar», so Schmidt. «Der Weg zur Langzeitspeicherung geht über die Speicherung von Strom in chemischer Bindung von Molekülen wie Wasserstoff, synthetischem Erdgas sowie anderen Treib-
stoffen oder auch Methanol.» Chemikalien als Langzeitspeicher für Strom. Die Produktion wird dabei
dezentraler, die Anlagen kleiner. Entsprechende Technologien stehen im Labormassstab bereits zur Verfügung. Diese müssen nun in tragfähige wirtschaftliche Geschäftsmodelle übersetzt werden.
Netto-Null-Emissionen
Was aber kostet die Schweiz die Transformation zu Netto-Null-Emissionen bis 2050? Modellrechnungen von Kober zeigen, dass dafür Mehrkosten von rund 300 Franken pro Jahr und Kopf notwendig sind. «Das sind die energiebedingten Mehrkosten zusätzlich zu jenen, die wir gegenüber einer Referenzentwicklung haben, bei der Klimaschutz eine vergleichsweise untergeordnete Rolle spielt», so Kober. «Die Kosten beziehen sich auf sämtliche Energiesystemkosten für Mobilität, Gebäude und Industrie.» Dieser ganzheitliche Ansatz zeigt, wie tiefgreifend eine solche Transformation des Energiesystems der Schweiz ist.
Die installierte Kapazität von Photovoltaikanlagen etwa muss sich jedes Jahrzehnt bis 2050 verdoppeln, die Stromerzeugung aus Kraftwerken und Speicheranlagen um mindestens ein Fünftel gesteigert werden – dies bei der Annahme, dass sämtliche Kernkraftwerke bis 2045 stillgelegt sind. Dass dabei jedes Individuum gefordert ist, zeigt sich etwa daran, dass bis 2030 jede dritte Neuzulassung eines PKWs über einen elektrischen Antrieb verfügt und Elektrofahrzeuge bis 2050 mehr oder weniger flächendeckend eingeführt sein müssen. Auch die Raumwärmeerzeugung muss von derzeitig fossilen Energieträgern grossflächig auf elektrische Wärmepumpen umgestellt und möglichst viele Einsparpotenziale ausgeschöpft werden.