Genaue Schnelltests aus smartem Graphen-Papier
Das Wichtigste in Kürze
- Schnelltests haben gegenüber anderen medizinischen Analysen einen grossen Vorteil. Sie sind so einfach, dass sie jede:r fast überall selbst durchführen kann.
- ETH-Forschende haben nun einen Weg gefunden, wie die Schnelltetsts mit einem Teststreifenpapier aus Graphen viel empfindlicher, schneller und genauer werden.
- Die Forschenden haben ihr Schnelltestverfahren nicht nur wissenschaftlich belegt, sondern auch die Herstellung der Analytik-Papierstreifen so vereinfacht, dass in der Praxis ein brauchbares Produkt entstehen kann.
Schwangerschafts- und Covid-Schnelltests haben gegenüber anderen medizinischen Analysen einen grossen Vorteil. Sie sind so einfach, dass sie jede:r praktisch überall selbst durchführen kann. Dafür sorgt das zuverlässige Grundprinzip dieser sogenannten Mikrofluidik-Methoden: Wässrige Lösungen diffundieren mithilfe von Kapillarkräften durch einen Papier-Teststreifen hindurch. Gesuchte Substanzen wie Viren-Partikel oder Schwangerschaftshormone lassen sich dabei an einer gewünschten Stelle mit Hilfe von Antikörpern festhalten und aufkonzentrieren. Ein Färbungssystem macht dann die dichter werdende Probesubstanz langsam als Streifen sichtbar.
So einfach und zuverlässig dieses Grundprinzip funktioniert, so schwierig kann sich die optische Beurteilung der Resultate gestalten. Die Frage, ob da eine Linie sichtbar oder ob es nur Einbildung sei, hat uns seit dem Ausbruch der Covid-Pandemie wahrscheinlich schon alle mindestens einmal beschäftigt.
Genau hier setzt die Erfindung des ETH-Teams an. Sie haben einen Weg gefunden, um leitende Elektroden direkt innerhalb des Teststreifenpapiers zu bilden. So entsteht bei der Bindung eines gesuchten Stoffs direkt ein elektronisches Signal. Messungen werden dadurch viel empfindlicher, schneller und genauer.
Günstige Papiertechnologie besser machen
Chih-Jen Shih and Andrew deMello teilen eine Leidenschaft: «Unser grösster Ansporn ist es, grundlegende chemische oder biologische Experimente so zu verbessern, dass dabei neue wissenschaftliche Möglichkeiten entstehen.» Genau das ist ihren Forschungsgruppen jetzt mit den Schnelltests gelungen. Davon, dass sie die einfache und kostengünstige papierbasierte Mikrofluidik mit der Empfindlichkeit und Genauigkeit von elektronischen Messverfahren kombiniert haben, profitiert eine Vielzahl von analytischen Anwendungen. Von der selbständigen Überwachung von Biomarkern im Blut durch Patient:innen, über Boden,- Luft oder Wasserproben im Feld bis hin zu minutenschnellen Krankheitstests in entlegenen Weltgegenden; das potenzielle Einsatzspektrum deckt praktisch alle chemischen, biologischen und medizinischen Analysen ab, die sich in wässrigen Lösungen durchführen lassen.
Kombination von Kompetenzen als Schlüssel
Bisherige Versuche, die kostengünstige Papier-Chemie mit Detektionselektroden auszustatten wurden durch eine grundsätzliche Eigenschaft von leitenden Stoffen behindert: Elektrische Leiter wechselwirken prinzipiell kaum mit Wasser und wirken darum als Barrieren für den Fluss von Proben- und Reaktionsgemischen in einem Papierstreifen.
Um diese Hürde zu überwinden und um die Technik zu einem zuverlässigen Verfahren zu entwickeln, die auch in weniger entwickelten Weltgegenden funktioniert, war die Kombination von unterschiedlichen Kompetenzen nötig, wie deMello betont. Für den neuen Schnelltest kombinierten die ETH-Forschenden deshalb ihre Expertisen: Aus Shihs Gruppe kam das Knowhow zur direkten Erzeugung der Leitfähigkeit im Papier. DeMellos Gruppe steuerte das Wissen über Mikrofluidiksysteme bei.
Laser zersetzt die Cellulose zu reinem Kohlenstoff
Die Basis für die Erfindung legt die Umwandlung der Zuckerpolymere, aus denen die Cellulose im Papier aufgebaut ist, mit Hilfe eines Lasers in Graphen. Diese spezielle Form des Kohlenstoffs ist leitfähig und gilt als ein Elektronikwerkstoff der Zukunft.
Bei der Umwandlung mittels Laser werden die Cellulose-Moleküle in ihre Elemente Kohlenstoff, Sauerstoff und Wasserstoff zersetzt, vergleichbar mit dem Karamellisieren von Haushaltzucker. Während beim langen Erhitzen von Zucker in einer Pfanne aber nur gewöhnliche Kohle zurückbleibt, die den elektrischen Strom nicht leitet, gelang es den ETH-Wissenschaftlern mit dem Laser in die Kohlenstoffatome der Cellulose leitfähiges Graphen umzuorganisieren.
Cleveres Tuning macht den Unterschied
Das Erzeugen von Graphen in Cellulose-Papier allein hätte allerdings nicht ausgereicht. Das Wundermaterial ist nämlich wie praktisch alle anderen leitenden Stoffe hydrophob. Das heisst, es stösst Wasser ab und dieses kann dadurch auch nicht einfach durch es hindurchfliessen. Dank einem cleveren Tuning der Laser-Energie ist es den Forschenden aber gelungen, die Zersetzung der Cellulose zu Graphen so dosiert durchzuführen, dass nicht nur die ursprüngliche Porosität der Cellulose erhalten bleibt. Auch einzelne der Sauerstoffgruppen der Cellulose bleiben auf der Oberfläche der Graphen-Bereiche bestehen.
Diese Sauerstoffgruppen können mit Wassermolekülen wechselwirken und sorgen so in den Elektroden für eine praktisch gleich gute Benetzbarkeit wie im restlichen Papier. Zudem lassen sich an diese Sauerstoffgruppen auch sogenannte Reportermoleküle chemisch binden. So ensteht beispielsweise direkt ein elektronisches Signal, wenn ein Viruspartikel mit einem Detektions-Antikörper auf der Elektrode interagiert.
Wissenschaft zum praxistauglichen Produkt entwickeln
Das Tuning der Laserenergie nahmen die Forschenden an zwei Hauptstellschrauben vor: Zum einen behandelten sie das Papier mit Flammschutzmitteln. Diese verhindern, dass die Laserenergie die Cellulose vollständig verkohlt oder gar verbrennt. Zum anderen wurde die Laserleistung verringert und stattdessen mit mehreren Pulsen gearbeitet, die eine geringere Energie pro Flächeneinheit in das Papier bringen.
Shih und deMello haben sich aber nicht damit begnügt, das Prinzip der Papierelektroden wissenschaftlich zu belegen. Ihr Anspruch war vielmehr, ein in der Praxis brauchbares Produkt zu entwickeln. Dafür haben sie das Prinzip in praktischen Anwendungsfällen umgesetzt und auch die Herstellung der Analytik-Papierstreifen massiv vereinfacht. In 90 Minuten lassen sich bereits 176 Sensoren aus einem A4-Papier herstellen und der Stückkostenpreis beträgt nur noch 0,02 Dollar.
Optimales Umfeld für interdisziplinäre Innovationen
Einen entscheidenden Anteil an der Erfindung hat für Shih das Umfeld an der ETH: «Wir sind Teil des Departements Chemie und angewandte Biowissenschaften. Dadurch werden wir als Ingenieure direkt von der Spitzenforschung inspiriert, die rund um uns herum betrieben wird.»
Wie die zwei Chemieingenieure ihre Erfindung der Gesellschaft zugänglich machen und vermarkten werden, steht noch nicht fest. Angesichts der enorm breiten Anwendungsmöglichkeiten wäre ein Lizenzmodell denkbar. Aber auch in dieser Beziehung können sich die Wissenschaftler auf das Umfeld an der ETH verlassen, so deMello: «Die Verantwortlichen von ETH transfer haben viel Erfahrung im Schutz von geistigem Eigentum und im Verhandeln von Lizenzverträgen.»
Unabhängig davon, wie die Erfindung den Weg in konkrete Produkte finden wird, dürften im Endeffekt unzählige Menschen auf der ganzen Welt von dieser ETH-Innovation profitieren. Von effektiveren medizinischen Therapien über eine effizientere Landwirtschaft bis hin zum lückenlosen Infektionsmonitoring: Das direkte Einbetten von Elektroden in die Teststreifen hebt die Möglichkeiten der Papierfluidik auf eine neue Stufe.