Ein staubtrockener Weckruf
Ausgetrocknete Flüsse und Böden in ganz Europa. Ernteverluste, verheerende Waldbrände und starke Gletscherschmelze. Tausende hitzebedingte Todesfälle in den Städten, notgeschlachtete Kühe in den Bergen. Das war der Sommer 2022 – einer der wämsten und der trockenste seit Messbeginn. Hätten Klimaforschende im Frühling vor solchen Extremen gewarnt – wir wären als Alarmist:innen verschrien worden. Dabei stimmt, was wir jetzt erleben, genau mit den Begutachtungen des Weltklimarats1 (IPCC) überein.
Wir wissen schon lange, was auf uns zukommt, und seit einigen Jahren sehen wir die ersten klaren Zeichen, dass wir die Krise ohne ernsthafte Massnahmen nicht bewältigen werden können. Jahrzehntelang wurde der Klimawandel von vielen als ferne Herausforderung bagatellisiert, an die wir uns problemlos anpassen könnten. Die letzten Monate haben uns gezeigt, dass die Realität eine andere ist.
Anpassen allein ist keine Option
Die Klimakrise ist da. Die Atmosphäre hat sich bereits um 1,2 Grad Celsius erwärmt. Steigende Temperaturen und fehlender Regen trockneten diesen Sommer die Böden auf der Nordhalbkugel aus (vgl. ETH-News: «Der Klimawandel machte die Sommerdürren 2022 wahrscheinlicher», 06.10.2022). Wir haben berechnet, dass derartige Dürreverhältnisse im heutigen Klima etwa einmal in 20 Jahren zu erwarten sind – ohne menschgemachte Klimaerwärmg wären es alle 400 Jahre. Die kombinierte Hitze-Dürre stellte auch die Schweiz vielerorts vor Probleme – selbst das Wasserschloss ist vor Wassermangel nicht gefeit. Zumal die Eisreserven in den Alpen in Rekordtempo schwinden.
Erwärmt sich die Erde weiter, ist in Zukunft mit noch stärkeren und häufigeren Extremereignissen zu rechnen, als wir in den vergangenen Jahren gesehen haben: Hitzewellen, Trockenheit, Starkniederschläge und extreme Wirbelstürme. Der letzte IPCC-Bericht zeigt auch, dass wir rasch an Grenzen der Anpassung stossen, wenn nichts unternommen wird.
Fest steht: Jede Tonne CO2 heizt das extreme Klima weiter auf. Um das zu vermeiden braucht es eine radikale Abkehr von Erdöl, Gas und Kohle – und zwar so rasch wie möglich. Denn jedes Zehntelgrad Erwärmung zählt.
Die Wende ist möglich
Der nötige Ausstieg aus fossilen Energieträgern ist machbar: Es gibt Alternativen in fast allen Sektoren – erneuerbare Energien, Wärmepumpen, Elektromobilität. Die CO2-Emissionen in der Schweiz stammen zu 93 Prozent aus der Verbrennung von Erdöl und Gas. Wenn es die Schweiz schafft, ihren CO2-Ausstoss bis 2030 zu halbieren, wären wir bereits auf Kurs mit dem Pariser Klimaziel, das die Erwärmung auf rund 1,5 Grad stabilisieren will. Dazu müssen wir unseren Erdöl- und Gasverbrauch bis 2030 um 55 Prozent reduzieren.
Das kürzlich verabschiedete «Bundesgesetz über die Ziele im Klimaschutz, die Innovation und die Stärkung der Energiesicherheit»2 wird den Weg zu netto null CO2 ebnen. Private, Firmen und Behörden können aber schon jetzt die Initiative ergreifen, um die Wende zu beschleunigen.
Vom Ausstieg aus den Fossilen wird die Schweiz nicht zuletzt geopolitisch profitieren, kann sie doch ihre Abhängigkeit von exportierenden autokratischen Regimen reduzieren. Unsere Abhänigkeit von Erdöl und Gas schadet nicht nur dem Klima, sie kostet auch viel und macht Demokratien erpressbar durch Schurkenstaaten.
Mit den bisherigen Klimafolgen müssen wir allerdings leben. Sie werden in einer Netto-Null-Welt nicht verschwinden. Wir können die Erderwärmung bestenfalls stabilisieren, aber kaum rückgängig machen. Beim Klima gibt es kein Zurück: Viele Konsequenzen sind unumkehrbar.
Ein trockener Weckruf für das Wasserschloss Schweiz
Dieser Sommer hat uns vor Augen geführt, wie das Klima Jahr für Jahr extremer wird. Dagegen können wir etwas tun, global und in der Schweiz. Jetzt handeln lohnt sich. Der Sommer 2022 soll uns ein Weckruf sein.
Sonia Seneviratne verfasste diesen Text auf der Basis eines Autorenbeitrags, der zuerst in der NZZ vom 10.10.2022 erschienen ist.