Eawag

Jahrzehntelange Erfahrung für die Umwelt nutzen

Kleine Mengen, grosse Wirkung: Mikroverunreinigungen im Abwasser werden immer mehr als Umweltproblem erkannt. Forschende der Eawag waren massgeblich daran beteiligt, eine weltweit wegweisende Strategie zu entwickeln, um Kläranlagen auch für diese Rückstände fit zu machen.
Christa McArdell und Urs von Gunten beschäftigen sich mit Mikroverschmutzungen im Abwasser (Foto: Kellenberger Photographie)

Eine der grossen Erfolgsgeschichten des 20. Jahrhunderts in Sachen Umweltschutz ist der Umgang mit Abwässern oder ganz konkret: die Kläranlage. In den 1950er-Jahren war die Verschmutzung von Seen und Flüssen durch Siedlungs-, Gewerbe-, und Industrieabwasser alltäglich. Schäumende, stinkende Bäche, Fischsterben und Abfälle in Gewässern waren an der Tagesordnung. Baden war aus gesundheitlichen Gründen weitgehend verboten. Kein Wunder, denn Abwässer gelangten grossenteils ungereinigt in die Gewässer.

Die Geschichte zeigt: Heute haben wir vieles im Griff, doch mehr Wissen bringt mehr Komplexität – auch beim Abwasser. Moderne Analytik zeigt, dass Kläranlagen viele Mikroverunreinigungen wie hormonaktive Substanzen, Haushaltschemikalien, Kosmetika oder Arzneimittel nicht vollständig entfernen können. Diese gelangen weiterhin in unsere Gewässer, aber auch Stoffe aus gewerblichen und industriellen Prozessen.

Bekämpfung von Mikroverunreinigungen mit Ozon

Was tun? Die Kläranlagen müssen so nachgerüstet werden, dass auch Mikroverunreinigungen aus dem Abwasser entfernt werden können. An der Eawag gibt es das entsprechende Know-how – und zwar nicht nur auf der technischen Seite. Der Umweltchemiker Urs von Gunten, Eawag-Gruppenleiter in der Abteilung Wasserressourcen & Trinkwasser sowie Professor an der EPFL, hat jahrzehntelange Erfahrung bei der Behandlung von Trinkwasser mit Ozon. Bei der Anwendung einer «Ozonung», neu auch auf Abwässer, waren zwei Fragen entscheidend: Werden die problematischen Chemikalien zuverlässig «entschärft» und entsteht durch das Ozon nichts Unerwünschtes? Denn die «organische Matrix» reagiert natürlich auch mit dem Ozon.

«Es ist Knochenarbeit, herauszufinden, was im Abwasser alles vorhanden ist und was in der Ozonung genau entsteht.»      Christa McArdell, Gruppenleiterin in der Abteilung Umweltchemie

Wichtig waren dabei die Verfahrenstechnik und auch die Analytik. Und da kommt die Expertise der Chemikerin Christa McArdell, Gruppenleiterin in der Abteilung Umweltchemie, ins Spiel. Sie nennt es eine «Knochenarbeit, herauszufinden, was im Abwasser alles vorhanden ist und was in der Ozonung genau entsteht». Es ist jedoch unmöglich, alles zu erfassen, was in der komplexen Reaktion von Ozon mit diversen Stoffen und der Matrix entsteht. Um die Effekte abschätzen zu können, nutzt man Ökotoxikologie-Tests: Kann man die bekannten Effekte der Mikroverunreinigungen mindern oder zeigen sich womöglich neue, unerwartete? So liess sich nachweisen, dass Ozon ein sehr zuverlässiges Oxidationsmittel ist, um eine Vielzahl von Mikroverunreinigungen «unschädlich»  zu machen. Das Ozon sorgt für kleine Veränderungen in der chemischen Struktur, womit die Moleküle ihren biologischen Effekt verlieren. Und auch für das, was durch die Ozonung aus der Matrix entsteht (z. B. Aldehyde) gibt es eine Lösung: eine biologische Nachbehandlung klärt auch diese Bestandteile, da sie meist gut von Mikroorganismen abgebaut werden.

«Um solche Prozesse in die Praxis umzusetzen, braucht es weitere Expertisen und einen interdisziplinärer Zugang, wie er an der Eawag gepflegt wird.»      Christa McArdell, Gruppenleiterin in der Abteilung Umweltchemie

Die Umsetzung des Verfahrens in die Praxis

Prozesstechnisch und analytisch war man rasch überzeugt. Nun galt es, das Verfahren in die Praxis zu bringen. «Um so etwas umzusetzen, braucht es weitere Expertisen», sagt McArdell. Hier sei ein interdisziplinärer Zugang, wie er an der Eawag gepflegt wird, entscheidend. Zusammen mit Ingenieurinnen und Ingenieuren wurden Ozonung und Aktivkohle-Behandlung, eine andere Methode zur Entfernung der Mikroverunreinigungen, und Kombinationen davon auf Pilotanlagen und später auch im grosstechnischen Betrieb erprobt. In Zusammenarbeit mit der Ökotoxikologie wurden die Verfahren in Tests evaluiert. Schliesslich muss man auch die Kosten einer solchen Nachrüstung im Auge behalten, wenn nicht nur der theoretische Nachweis der Wirksamkeit, sondern die konkrete Umsetzung in der Kläranlagen-Praxis das Ziel ist. 

Das «Schweizer Modell»

Für einen tragbaren Vorschlag muss auch die Politik früh mit an Bord sein. Dabei spielte das BAFU eine wichtige Rolle und das traditionell gut funktionierende Netzwerk von Eawag-Forschenden mit Behörden und Praxis. Involviert waren auch Sozialwissenschaften, um wirtschaftlichen Nutzen und Akzeptanz bei der Bevölkerung einzuschätzen. Inzwischen gilt die Strategie als beispielhaft, ist seit 2016 im Gewässerschutzgesetz verankert und als «Schweizer Modell» bekannt. Sie wird auch international mit Interesse verfolgt und teilweise bereits umgesetzt, z. B. von der EU und in den USA, wo das Abwasser zum Teil zu Trinkwasser rezykliert wird.

Da die Nachrüstung aller rund 700 Kläranlagen ursprünglich als zu teuer eingeschätzt wurde, einigte man sich darauf, die Halbierung der Rückstände anzupeilen. Das ist mit der Nachrüstung von rund 120 Anlagen an den neuralgisch wichtigsten Orten möglich. Im Auftrag des Parlaments erarbeitet der Bund zurzeit eine Gesetzesänderung, wonach alle Kläranlagen nachgerüstet werden müssen, deren Einleitungen heute zu Grenzwertüberschreitungen führen. Nach ersten Schätzungen würde das weitere rund 300 Kläranlagen betreffen. 

Die beiden Eawag-Experten sind mit Recht stolz auf das in so kurzer Zeit erreichte. Die Bemühungen wurden auch von der Schweizerischen Chemischen Gesellschaft anerkannt, welche die beiden sowie weitere Teammitglieder mit dem Sandmeyer Award auszeichnete. 

«Im Trinkwasser finden sich sehr wenige dieser abwasserbürtigen Substanzen.»      Urs von Gunten, Eawag-Gruppenleiter in der Abteilung Wasserressourcen & Trinkwasser

Von Abwässern zu sauberen Flüssen

Zehn Jahre nach Start der Pilotversuche trat das neue Gewässerschutzgesetz in Kraft und immer mehr Anlagen werden aufgerüstet. Der politische Wille zu weiteren Verbesserungen bleibt ein zentraler Faktor, wobei die Mikroverunreinigungen für den Menschen weniger ein Problem sind. «Im Trinkwasser finden sich sehr wenige dieser abwasserbürtigen Substanzen», weiss von Gunten. Es geht darum, die aquatische Umwelt zu schützen. In Zukunft werden wohl Rückstände aus gewerblichen und industriellen Prozessen wieder mehr in den Fokus rücken. Oft müsse man sich dieser Art von Umweltverschmutzung aber erst einmal bewusst werden. Auch hier spielen die Fortschritte in der Analytik eine grosse Rolle. Man kann nur sauber machen, was man sieht.